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Realismus, Naiver

Katharina Sternek, Wien

Der „naive Realismus“ ist eine dem Kritischen Realismus entgegengesetzte erkenntnistheoretische Position, die dadurch gekennzeichnet ist, dass zwischen phänomenalen und physikalischen Gegebenheiten nicht unterschieden wird.

Die „naive“ Sichtweise entspricht durchaus dem Alltagsbewusstsein des Menschen. In seinem alltäglichen Erleben ist sich der Mensch des Abbildcharakters seiner Wahrnehmungen nämlich in der Regel nicht bewusst, sondern hält alle wahrgenommenen Gegenstände, Personen, aber auch den wahrgenommenen eigenen Körper, also alle „anschaulich-körperlichen“ Gegebenheiten, für „objektive“ Sachverhalte: „Die Welt ist so, wie ich sie sehe, rieche, spüre…“ Nur psychische Gegebenheiten, wie Vorstellungen, Gefühle, Gedanken etc., also „anschaulich-seelische“ Gegebenheiten, welche schon im Erleben den Charakter des „Inneren“, ganz Persönlichen aufweisen, werden als „subjektiv“ betrachtet.

Die erkenntnistheoretische Position des „naiven Realismus“ lässt sich weiter differenzieren in einen „naiven Physikalimus“ und einen „naiven Phänomenologismus“.

Der „naive Physikalismus“ reduziert die Welt auf die physikalischen Gegebenheiten – nur sie sind für ihn real. Dabei blendet er aus, dass auch seine physikalischen Messvorgänge und Befunde selbst phänomenale Tatbestände sind. In der Psychologie wurde diese Sichtweise z.B. vom Behaviorismus vertreten. Heute finden wir sie z.B. häufig in Interpretationen von Ergebnissen aus der Gehirnforschung vor, wenn etwa angesichts von gemessenen Veränderungen von Erregungspotentialen in bestimmten Gehirnarealen davon die Rede ist, nun hätte man entdeckt, was Gefühle „wirklich“ sind.

Im „naiven Phänomenologismus“ hingegen wird unter Vernachlässigung physiologischer und physikalischer Sachverhalte nur den Phänomenen Wirklichkeitsgehalt zugeschrieben. Im Alltagsleben lässt sich eine solche Position schwer durchhalten, so gehen wir z.B. beim Kauf eines Gegenstandes selbstverständlich davon aus, dass wir diesen auch tatsächlich erhalten, was abgesehen von misslichen Ausnahmen in der Regel auch geschieht.

Eine gewisse Weiterentwicklung stellt der sogenannte „semi-naive“ Realismus dar. Er hat zwar die vorwissenschaftliche Sichtweise des „naiven Realismus“ erkannt, aber nicht gänzlich überwunden. Für den semi-naiven Phänomenologismus ist dabei typisch, dass er Eigenheiten der phänomenalen Welt unzulässig auf die physikalische Welt überträgt (z.B. die psychologische Feldtheorie auf den gesamten Organismus und seine Umwelt, wie es etwa im Konzept des „Organismus-Umwelt-Feldes“ in Schriften zur Gestalt-Therapie geschieht). Der semi-naive Physikalismus wiederum überträgt physikalisches Wissen in unzulässiger Weise auf phänomenale Sachverhalte. Ein Beispiel für eine solche unzulässige Vermengung von Physikalisch-Physiologischem mit Phänomenalem ist etwa der Einleitungssatz zu einem Klassiker der Gestalt-Therapie-Literatur: „An der Grenze von Organismus und Umwelt, zuallererst an der Hautoberfläche und in den anderen Organen der Sinneswahrnehmung und der motorischen Reaktion, ereignet sich Erfahrung“. Hier wird der phänomenale Sachverhalt „Erfahrung“ mit Sachverhalten im physikalischen Organismus und dessen Begegnung mit dem physikalischen Umfeld unzulässig vermengt.

Literatur zu den Grundlagen:

Literatur zu Naiver Realismus und Psychotherapie:

  • Sternek, Katharina (2018): Vom Nutzen erkenntnistheoretischer Modelle für PsychotherapeutInnen. Phänomenal - Zeitschrift für Gestalttheoretische Psychotherapie, 10(1), 15-24.
realismus_naiver.1530272673.txt.gz · Zuletzt geändert: 12.03.2024 13:26 (Externe Bearbeitung)