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phaenomenologie

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Phänomenologie (im Bezug zur Gestalttheoretischen Psychotherapie)

Ilse Zacher, Wien

Unter Phänomenologie (griechisch phainomenon „Sichtbares, Erscheinung“; logos „Rede, Lehre“) versteht man die Lehre von dem, „was sich zeigt, das, was einem Menschen unmittelbar erscheint“ (Goerlich 2000, 46). Im Sinn der philosophischen Phänomenologie wird der Begriff meist spezieller auf das von Edmund Husserl vertretene philosophische Ideengebäude bezogen. Die Gestalttheorie wiederum ist zwar ein phänomenologischer Ansatz, bezieht sich darin jedoch nicht auf die Phänomenologie Husserls.

Empirisches Fundament dieser Philosophie ist es, alles was sich uns in seiner „leibhaftigen Wirklichkeit“ darbietet, unvoreingenommen hinzunehmen. Die Gestalttheorie und ihre therapeutische Anwendung sind mit der Phänomenologie Husserls durch das gemeinsame Anliegen verbunden, 'zu den Dingen selbst' vorzustoßen und sich dabei nicht von ideologischen Begriffssystemen, Vorurteilen oder impliziten Theorien beirren zu lassen (Goerlich 2000, 46). Der Gestaltpsychologe Wolfgang Metzger versteht in diesem Sinne Phänomenologie als „vorurteilsfreie Wesensschau“: Nämlich „das Vorgefundene einfach hinzunehmen, wie es ist, auch wenn es ungewohnt, unerwartet, unlogisch, widersinnig erscheint und unbezweifelten Annahmen oder vertrauten Gedankengängen widerspricht. Die Dinge selbst sprechen zu lassen, ohne Seitenblicke auf bisher Bekanntes, früher Gelerntes, `Selbstverständliches`, auf inhaltliches Wissen, Forderungen der Logik, Voreingenommenheit des Sprachgebrauches und Lücken des Wortschatzes. Der Sache mit Liebe und Ehrfurcht gegenüberzutreten, Zweifel, Misstrauen aber gegebenenfalls zunächst vor allem gegen die Voraussetzungen und Begriffe zu richten, mit denen man das Gegebene bis dahin zu fassen suchte“ (Metzger 2001, 12).

In Husserls philosophischem Ansatz ist die Korrespondenz mit dem Begriff „Gestalt“ erkennbar. Seine transzendentale Philosophie weist grundlegende Gemeinsamkeiten mit den von der Gestalttheorie vertretenen erkenntnistheoretischen Positionen des kritischen Realismus auf: Husserl betrachtet nicht die Welt an sich`, sondern das `Sich-Zeigen`der Welt. Das entspricht der Unterscheidung Metzgers „zwischen physikalischer oder erlebnisjenseitiger und anschaulicher oder erlebter Welt“.

Erst im Spätwerk von Husserl bekommt die erlebnisjenseitige Welt Bedeutung. Diese erlangt sie durch die Gewissheit des Seins der Anderen. Die Erinnerung an den Ort des Anderen hat auch in der psychotherapeutischen Arbeit ihren Platz – so etwa unterstützt durch die Arbeit mit dem leeren Stuhl in der Gestalt-Therapie und Gestalttheoretischen Psychotherapie. Dabei lässt sich der Umgang mit dem Anderen neu erleben, neu strukturieren, neu definieren.

Grundsätzlicher gefasst lässt sich sagen, dass Phänomenologie zu treiben Grundlage jeder Gestalttheoretischen Psychotherapie ist – nämlich „unbefangen sehen und Geschehenes achten“ (Metzger 2001, 25).

Literatur:

  • Goerlich, Stefan (2000): „Auf die 'Sachen selbst' zurückgehen“ - Berührungspunkte zwischen philosophischer Phänomenologie und Gestalttheoretischer Psychotherapie. Gestalt Theory 22(1) 45-60.
  • Metzger, Wolfgang (2001): Psychologie. Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit Einführung des Experiments. Wien: Krammer (6. Auflage)
  • Tholey, Paul (1989): Bewusstsein, Bewusstseinsforschung, Bewusst Sein. Bewusst Sein, 1(1), 9-24.
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