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gestaltkreis

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Gestaltkreis

Gerhard Stemberger, Wien und Berlin

Die so genannte „Gestaltkreislehre“ geht auf Viktor von Weizsäcker (1886 - 1957) zurück, der sie 1940 in seinem Buch „Der Gestaltkreis. Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen“ vorstellte. Auf diese Lehre beziehen sich auch heute noch körper- und bewegungsorientierte psychotherapeutische Ansätze wie zum Beispiel in Österreich die Konzentrative Bewegungstherapie.

Weizsäcker nimmt in seiner „Gestaltkreislehre“ einen alten Gedanken Wolfgang Köhlers wieder auf, der sich schon in den 1920er-Jahren mit den Rückkoppelungsprozessen bei der sensumotorischen Bewegungsregulation beschäftigt hatte (Köhler 1922, 1927, 1929):

Diesen Gedanken beschreibt Wolfgang Metzger für den Fall der so genannten Endhandlungen (die also auf ein bestimmtes Ziel oder Ergebnis gerichtet sind) so, dass „jeder Schritt im Hinblick auf das Ziel erfolgen muss, und in der Annäherung an das Ziel oder doch in der Vorbereitung einer solchen seinen klaren Sinn hat.[…] man muss den Erfolg seines Tuns von Augenblick zu Augenblick auf sich selbst zurückwirken lassen; so, dass das Tun des nächsten Augenblicks stets von dem Erfolg des unmittelbar vorausgehenden mitgesteuert und abgestimmt wird. Dieses eigenartige ‚In-sich-zurück-Münden‘ des Geschehens beim freien, zielgesteuerten Verhalten hat V. v. Weizsäcker […] ‚Gestaltkreis‘ genannt.“ (Metzger 1962, 147-148)

Problematisch an der „Gestaltkreislehre“ Weizsäckers ist aus Sicht der Gestalttheorie, dass sie diesen kreisförmigen Prozess zum allgemeinen Regulationsprinzip erklärt. Nach gestalttheoretischer Auffassung handelt es sich beim Kreisvorgang jedoch nur um einen Sonderfall im Spektrum der beobachtbaren Möglichkeiten freien Kräftespiels im Gestaltzusammenhang. Gerade für die phänomenale Welt des Menschen sind nicht die relativ festgelegten kreisförmigen, sondern die wesentlich freieren feldförmigen Wirkungs- und Steuerungsvorgänge charakteristisch. Kreisförmige Regulationsvorgänge stellen die Ausnahme dar. Die unzulässige Verallgemeinerung der kreisförmigen Regulationsvorgänge durch Weizsäcker sind in dessen phänomenologistischer Auffassung der Sensumotorik begründet, wie Paul Tholey herausarbeitet (vgl. Tholey 1980).

Literatur:

  • Köhler, Wolfgang (1923): Gestaltprobleme und Anfänge einer Gestalttheorie. Jahresbericht über die gesamte Physiologie 1922, 512-539, Berlin.
  • Köhler, Wolfgang (1927): Zum Problem der Regulation, Archiv für Entwicklungsmechanik 112, 315-332.
  • Köhler, Wolfgang (1929): Ein altes Scheinproblem, Naturwissenschaften 17, 395-401.
  • Metzger, Wolfgang (1941): Besprechung von Weizsäcker 1940, Der Gestaltkreis. Zeitschrift für Psychologie, 151(1-4), 248f.
  • Metzger, Wolfgang (1962): Schöpferische Freiheit. 2. Auflage. Frankfurt: Kramer.
  • Tholey, Paul (1980/2018): Erkenntnistheoretische und systemtheoretische Grundlagen der Sensumotorik aus gestalttheoretischer Sicht. Sportwissenschaft, 10, 7-35. Nachdruck 2018 in P. Tholey, Gestalttheorie von Sport, Klartraum und Bewusstsein. Ausgewählte Arbeiten, herausgegeben und eingeleitet von Gerhard Stemberger, Wien: Krammer, 3-34 (→ Bestellung bei der ÖAGP-Geschäftsstelle).
  • Weizsäcker, Viktor v. (1940): Der Gestaltkreis. Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen. Leipzig: Georg Thieme.

Siehe auch:

  • Galli, Giuseppe (2012): Die Theorie des zielgerichteten Handelns bei Metzger. Phänomenal - Zeitschrift für Gestalttheoretische Psychotherapie, 4(1-2), 50-55.
gestaltkreis.1626445009.txt.gz · Zuletzt geändert: 12.03.2024 13:25 (Externe Bearbeitung)