Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


emotionszentrierter_ansatz

Dies ist eine alte Version des Dokuments!


Emotionszentrierter Ansatz; "Arbeiten mit Gefühlen"

[Der Eintrag gibt auszugsweise den Beitrag von Stemberger & Sternek 2019 wieder. Für Zitierzwecke sollte der Originalbeitrag herangezogen werden.]

Zweierlei Rede von Gefühlen

Über Gefühle kann in sehr unterschiedlicher Weise gesprochen werden und es ist wenig hilfreich, wenn diese verschiedenen Bedeutungen ständig durcheinandergebracht oder miteinander vermischt werden.

  • Man kann über Gefühle im erkenntnistheoretischen bzw. ontologischen Sinn sprechen – dann versucht man sich darüber klar zu werden, was Gefühle sind;
  • oder man kann über Gefühle im phänomenologischen Sinn sprechen – dann geht es darum, wie wir Gefühle erleben.

Im erkenntnistheoretischen bzw. ontologischen Sinn sind Gefühle bestimmte Bewusstseinszustände, also bestimmte dynamische Beschaffenheiten der phänomenalen Welt, die auch Entsprechungen im physiologischen Bereich haben, in der Hirntätigkeit wie auch in anderen körperlichen Vorgängen (z.B. Erröten, Erblassen, schnellerer oder angehaltener Atem usw.).

Im phänomenologischen Sinn haben Gefühle in der Regel bestimmte Träger, die diese Gefühle „haben“, und sind durch jeweils spezielle dynamische Beziehungen zwischen diesen „Trägern“ und anderen Personen oder Sachverhalten in der phänomenalen Welt ausgezeichnet.

Fragt man also aus der erkenntnistheoretischen bzw. ontologischen Warte, was Gefühle sind, fragt man aus der phänomenologischen Warte nach dem Erleben der Gefühle. Man kann sich viel Verwirrung in diesen Fragen ersparen, wenn man auf diesen Unterschied achtet.

Ganzheitliches Prägnanzgeschehen

Im Gefühlserleben ist in ganzheitlicher Weise prägnant, wer man gerade in welcher Welt ist und was sich daraus unmittelbar ergibt, welche Bedürfnisse und Ziele diese Welt gerade beherrschen und welche Kräfte in ihr wirken. Das Fördern des Gefühlserlebens ist in diesem Sinn Bestandteil von Klärungsprozessen, kein Selbstzweck. Das Fehlen klarer Gefühlserlebnisse zeigt kein „Persönlichkeitsdefizit“ an, sondern eine unklare Situation.

Gefühle sind aus gestalttheoretischer Sicht jedenfalls nicht als bloß innerpersonales Geschehen, also als Vorgänge „im Inneren“ einer Person anzusehen, sondern als Feldgeschehen in dynamischer Wechselwirkung zwischen der erlebten Person und ihrer erlebten Umwelt.

Wenn zum Beispiel ein Mensch wütend ist, so hat sich nicht nur seine Person „in ihrem Inneren“ verändert, sondern er ist zu einem „Wut-Menschen“ in einer „Wut-Welt“ geworden, zu der er in einer „Wut-Beziehung“ steht. Die Welt polarisiert sich, Person und „Wut-Objekt“ werden zur Figur, alles andere versinkt im Hintergrund; der physiologische Erregungszustand steigert sich; Person und „Wut-Objekt“ verlieren alle Eigenschaften und Fähigkeiten, die sie außerhalb der Wut-Situation haben – die verbleibenden Eigenschaften sind in „Wut-Eigenschaften“ umgewandelt; das Wesen der Gesamt-Situation ist die des Unerträglichen, Unannehmbaren, das auf der Stelle zu vernichten ist, womit die Situation aber noch unannehmbarer zu werden droht….

Gefühle sind demnach ein ganzheitliches dynamisches Geschehen, das Vorgänge in der erlebten Person ebenso mit einschließt wie Vorgänge in der erlebten Umwelt und in der Wechselbeziehung zwischen beiden.

Psychophysisches Geschehen

Im erkenntnistheoretischen Sinn werden Gefühle zugleich als psychophysisches Geschehen verstanden, das Menschen (und nicht nur sie) sich auch untereinander anmerken können. Das Gefühlserleben wirkt daher oft auch hinaus in die physikalische Umwelt – und über diese vermittelt kann es auch in den phänomenalen Welten anderer Menschen erkennbar und wirksam werden. Für die psychotherapeutische Praxis hat dieser Umstand vielfache Konsequenzen: Er bildet die Grundlage dafür, dass Klientin und Therapeutin auch „ohne Worte“ etwas von den Gefühlsbewegungen ihres Gegenübers mitbekommen (und davon auch beeinflusst werden). Und er bildet auch die Grundlage dafür, dass die Therapeutin mit dem Ansprechen von körperlichen Veränderungen (z.B. des veränderten Atems), die sie bei ihrem Gegenüber wahrnimmt, die Aufmerksamkeit der Klientin auf veränderte Gefühlszustände lenken kann, die dieser zu diesem Zeitpunkt vielleicht gar nicht bewusst waren.

Gefühle - Affekte - Emotionen

Wir hören und lesen von Gefühlen, aber auch von Affekten und dann wieder von Emotionen. Bedeuten diese Begriffe alle das Gleiche oder meinen sie Unterschiedliches?

Eine einheitliche Definition dieser Begriffe existiert in Literatur und Forschung nicht, aber wir können aus gestalttheoretischer Sicht sagen, wo wir einen sinnvollen Unterschied zwischen diesen Begriffen sehen. Vereinfacht gesagt, ist es der:

Mit dem Begriff der Affekte kann man sinnvoll die den Gefühlen entsprechenden Erregungs- und Spannungszustände ansprechen, deren Anzeichen jemand anderer an mir feststellt (das Zittern der Hände, das Feuchtwerden der Augen, die Anspannung der Kiefermuskulatur…), unabhängig davon, ob ich selbst sie bereits als Gefühle erlebe.

Von Gefühlen hingegen sollte man sprechen, wenn es um Sachverhalte des eigenen Erlebens (oder des Erlebens eines anderen) geht.

Der Begriff der Emotion liegt in gewisser Weise dazwischen: Er spricht im Wortsinn die Bewegung an, die einen in bestimmten Gefühlszuständen erlebnismäßig ergreifen kann oder die darin als erlebte Bewegung in der erlebten Umwelt (zu jemandem oder etwas hin oder von jemandem oder etwas weg) angelegt sein kann – insofern wären wir also beim Gefühl (unter Hervorhebung des Bewegungsaspekts). Es kann sich aber auch um eine Bewegung handeln, die ich selbst noch gar nicht erlebe, die mir aber andere bereits ansehen oder anmerken – hier wären wir demnach beim Affekt (ebenfalls unter Hervorhebung des Bewegungsaspekts)

Gefühlswelten sind nicht nur "Innenwelten"

Will man aber für die psychotherapeutische Praxis verstehen, wie die Erlebens- und Verhaltenswelt des Klienten gerade dynamisch beschaffen ist – d.h. was für ihn überhaupt vorhanden ist und welche Kräfte in seiner Situation gerade wirksam sind –, ist es notwendig, über die Phänomenologie seines Gefühlserlebens hinauszugehen, die Aufmerksamkeit also nicht nur auf den erlebten Gefühlszustand der Person zu richten, sondern in gleichem Maß auf ihre erlebte Umwelt und die dynamische Wechselbeziehung mit ihr.

Literatur:

emotionszentrierter_ansatz.1626958395.txt.gz · Zuletzt geändert: 12.03.2024 13:25 (Externe Bearbeitung)