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Traum

…und das Arbeiten mit Traumberichten in der Gestalttheoretischen Psychotherapie

Traum, Traumerinnerung und Traumerzählung

In der Gestalttheoretischen Psychotherapie wird klar zwischen Traum, Traumerinnerung und Traumerzählung bzw. Traumbericht differenziert. Darin unterscheidet sich die Gestalttheoretische Psychotherapie vom „Arbeiten mit Träumen“ in anderen Therapierichtungen (wie zum Beispiel der Gestalt-Therapie), bei denen diese Differenzierungen nicht vorgenommen werden, was dazu führt, dass insbesondere der dialogische und Beziehungscharakter der Traumerzählung mit all seinen therapeutischen Implikationen verloren geht.

Das „Arbeiten mit Träumen“ setzt voraus, dass der Traum gegenwärtig ist – was nur bei hier und jetzt erlebten Tagträumen und Klarträumen der Fall ist. Was üblicherweise unscharf und irreführend als das „Arbeiten mit Träumen“ bezeichnet wird, ist in der Regel ein Arbeiten mit Berichten bzw. Erzählungen über Traumerinnerungen und dem, was sich daraus im Weiteren ergibt.

Vieles, was über die Besonderheiten des Traums ausgesagt wird, stellt sich in einem anderen Licht dar, wenn man diese Differenzierungen berücksichtigt. Es macht einen großen Unterschied, ob ich z.B. sage: „In meinen Träumen passieren meist die verrücktesten Dinge“, oder ob ich sage „Soweit ich mich überhaupt an Träume erinnere, dann nur an Verrücktes, das darin passiert ist“. Damit verschiebt sich der Fokus von den tatsächlichen oder vermeintlichen Besonderheiten des Träumens auf die Besonderheiten des Erinnerns. Es spricht vieles dafür, dass zumindest einige der Besonderheiten, die dem Träumen zugeschrieben werden, tatsächlich solche des Erinnerns sind.

Die Gestalttheorie zum Erinnern

Die gestalttheoretische Forschung hat einige solche Besonderheiten des Erinnerns herausgearbeitet:

  1. „Das Gedächtnis für geordnetes Material ist meist erheblich besser als das für ungeordnetes;
  2. das Gedächtnis für bedeutungsvolles Material ist erheblich besser als das für bedeutungsloses;
  3. das Gedächtnis ist besser für Material mit persönlichem Bezug als für gleichgültiges Material;
  4. das Gedächtnis für unerledigte Sachverhalte ist besser als für erledigte (Zeigarnik-Effekt).“ (Metzger 1967/2016, 45f.)

Die Traumerinnerung in der Therapiestunde ist aber nicht nur Ergebnis solcher Auswahlprozesse, sie ist vor allem auch Einbettung des Ausgewählten in ein neues Ganzes, nämlich die inzwischen gegebene Lebenssituation und aktuell die therapeutische Situation. Daran ändern auch Traumtagebücher und ähnliche Versuche, die Erinnerung sofort nach dem Aufwachen festzuhalten, nichts Entscheidendes. Ordnung und Bedeutung dessen, was in der Therapiestunde erinnert wird, werden letztlich nicht durch ihre Details und auch nicht durch die Vergangenheit bestimmt, sondern durch die gegenwärtige Situation mit ihren gegenwärtigen Bedürfnisspannungen, mit denen die Traumerinnerung zugleich auch mehr auf Zukünftiges als auf Vergangenes verweist.

Traumbericht und Beziehung

Indem aus dieser Traumerinnerung dann auch in der Therapie berichtet wird, tritt eine weitere Veränderung ein. Traumerinnerung und Traumbericht können sich sehr wesentlich voneinander unterscheiden. Sie tun das schon dadurch, dass die Traumerinnerung für die Mitteilung an die Therapeutin verbalisiert und damit gegenüber dem Erinnerungserleben zwangsläufig reduziert und verändert wird. Noch wesentlicher ist aber die Tatsache, dass der Bericht über die zunächst ganz private Traumerinnerung nun an jemand anderen, nämlich die Therapeutin gerichtet ist, dass mit dem Erzählen auch therapeutische Anliegen und Hoffnungen verbunden sind, dass die Traumerzählung also in einen konkreten Beziehungs- und Arbeitskontext eingebracht wird, der Art und Inhalt der Erzählung auch entscheidend prägt.

In der Gestalttheoretischen Psychotherapie wird dementsprechend der Beziehungscharakter der Traumerzählung ernst genommen. Es wird nicht nur auf die Inhalte und Verläufe dieser Erzählung geachtet, sondern auch darauf, was es über die gegenwärtige Beziehung zwischen Klientin und Therapeutin aussagt, dass und wie das jeweils erzählt wird.

Lebendig werden lassen des Traumberichts

Ähnlich wie auch bei anderen Berichten über Erinnertes wird in der Gestalttheoretischen Psychotherapie auch bei Traumberichten darauf geachtet, dass die Exploration der berichteten Ereignisse so lebendig und erlebnisnah erfolgt, wie es die Situation erfordert und es der Klientin zuträglich ist. Dazu können Vorschläge gehören, das Erinnerte in der Gegenwartsform zu erzählen, es in Szene zu setzen, zwischen verschiedenen Protagonisten der Traumerzählung zu wechseln, die Traumgeschichte „vor- und zurück zu spulen“, eine Fortsetzung der Traumgeschichte zu erfinden usw. usf.

Erlebnisnah zu arbeiten haißt jedoch nicht in jedem Fall, ganz nah an die Ereignisse heranzugehen, in sie als gegenwärtiges Geschehen einzutauchen; bei Berichten über verängstigende Traumererinnerungen kann erlebnisnah gerade umgekehrt bedeuten, möglichst intensiv die zeitliche und räumliche Distanz zu diesen Geschehnissen zu erleben.

Nicht alles im Traum bist du

Die Gestalttheoretische Psychotherapie teilt nicht die Auffassung, dass jeder Aspekt des Traums ein Anteil der träumenden Person sei, ein Anteil, den sie in gewissem Maße von sich abgespalten und auf andere Objekte "projiziert" hat (zum Projektionsbegriff vgl. Fuchs 2016). Auch wenn im Schlaf die sensorischen Verbindungen zwischen dem Organismus und seiner physikalischen Umwelt weitgehend unterbunden sind und die gesamte Motorik des Organismus während des Träumens vom erlebten Körper-Ich weitestgehend dissoziiert ist, differenziert sich die Erlebniswelt im Traum in der Regel genauso in ein erlebtes Ich und eine erlebte Umwelt aus wie auch in der Wachwirklichkeit. Physiologisch ist das nach gestalttheoretischer Auffassung darin begründet, dass die entsprechenden Differenzierungen in der Organisation der Gehirnaktivität auch im Schlaf grundsätzlich fortbestehen.

Die Vorannahme, dass es eine „reale Außenwelt“ nur im Wachbewusstsein gibt, daher alles im Traum „außen“ Erscheinende demnach nur projizierte Teile der eigenen Person sein können, ist also falsch. Das heißt aber nun keinesfalls im Umkehrschluss, dass es nie vorkommen kann, dass uns im Traum (wie ja auch im Wachzustand) etwas „außen“ - von uns getrennt oder abgespalten - begegnet, was tatsächlich zu uns selbst gehört. Vom kritisch-realistischen Standpunkt der Gestaltheorie aus sind „Projektionen“ durchaus nicht auszuschließen, sie sind - um es in den Worten des Gestaltpsychologen und Klartraumforschers Paul Tholey auszudrücken - „durchaus denkbar – in der Form funktionaler Auswirkungen personinnerer Vorgänge auf das phänomenale Umfeld – und aufgrund zahlreicher empirischer Befunde auch wahrscheinlich…“ (Tholey 1980, 181).

Traumberichte und Therapieverlauf

In der Gestalttheoretischen Psychotherapie nehmen wir die erlebte Umwelt und die Person-Umweltbeziehungen auch in der Traumwirklichkeit als solche ernst und tun sie nicht als „Projektionen“ ab. Wir können daher bei der Bearbeitung von Traumerinnerungen das Streben nach Integrität der Ich-Welt-Beziehung auch bewusst in den Blick nehmen: Wir können zum Beispiel darauf achten, welche Beziehungsqualitäten sich schon in der Traumerinnerung selbst zeigen und wie sich diese im Zuge der weiteren Beschäftigung damit in der Therapie entwickeln. Das kann eine wichtige Ressource für anstehende Veränderungen in den Beziehungen der Klientin in ihrem Lebensalltag verfügbar machen.

Forschungsarbeiten des italienischen Gestaltpsychologen und Psychoanlytikers Giancarlo Trombini weisen darauf hin, dass die Entwicklung der Traumberichte und der daran anschließenden Verarbeitung in der Therapie auch Aufschluss über den Therapiefortschritte (aber auch über Rückschläge) geben können. Diese zeigen sich vor allem darin, dass sich die Qualität der in den Traumberichten vorkommenden Beziehungen verändert (im günstigen Fall zu positiveren und prägnant-komplexeren Beziehungen)(Trombini u.a. 2019) und dass es (im gelungenen Fall) zu einer Aussöhnung der erlebten Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der KlientInnen kommt (Trombini u.a. 2020, 2021)

Tagtraum und geteiltes Bewusstsein

Ein abschließender Hinweis zum Tagtraum: Dieser unterscheidet sich vom Traum während des Schlafs vor allem dadurch, dass er im Wachzustand stattfindet, die sensorischen Verbindungen zwischen dem Organismus und seiner physikalischen Umwelt also weitgehend erhalten bleiben und damit auch eine vollständige Erlebniswelt (ein primäres phänomenales Gesamtfeld) gleichzeitig und neben der Erlebniswelt des Tagtraums. Es handelt sich dabei also um einen besonderen Fall des geteilten Bewusstseins. Diese beonderen Bewusstseinszustände hat Gerhard Stemberger im Anschluss an Forschungsarbeiten von Edwin Rausch im Mehr-Felder-Ansatz für die Psychotherapie fruchtbar gemacht (siehe Stemberger 2018, wo auch die Beziehung zum Traum und Klartraum erläutert wird).

Literatur

Siehe auch:

Paul Tholey: Gestalttheorie von Sport, Klartraum und Bewusstsein. Ausgewählte Arbeiten, hrsg. und eingeleitet von Gerhard Stemberger

Wien: Verlag Wolfgang Krammer

ISBN 978 3 901811 76 0 | 284 Seiten | Preis 36,00 Euro

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Inhaltsverzeichnis und Einführung von Gerhard Stemberger

traum.1626614379.txt.gz · Zuletzt geändert: 12.03.2024 13:26 (Externe Bearbeitung)