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projektion [03.01.2017 12:58] stemberger angelegt |
projektion [12.03.2024 13:26] (aktuell) |
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//Thomas Fuchs, Bonn// | //Thomas Fuchs, Bonn// | ||
+ | ==== Tiefenpsychologische Sicht ==== | ||
Mit dem Begriff der „Projektion“ wird in der Regel die Abwehr eines inneren [[konflikt|Konfliktes]] mit Hilfe einer (nicht bewussten) Verlagerung einer Eigenschaft, | Mit dem Begriff der „Projektion“ wird in der Regel die Abwehr eines inneren [[konflikt|Konfliktes]] mit Hilfe einer (nicht bewussten) Verlagerung einer Eigenschaft, | ||
Der tiefenpsychologische „Projektions“begriff (nicht das Phänomen als solches) ist aber gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. | Der tiefenpsychologische „Projektions“begriff (nicht das Phänomen als solches) ist aber gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. | ||
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+ | ==== Einwände gegen die tiefenpsychologische Sicht ==== | ||
Zunächst verwirrt die unstimmige begriffliche Analogie aus Physik und Psychologie: | Zunächst verwirrt die unstimmige begriffliche Analogie aus Physik und Psychologie: | ||
So sähe eine konsequente Übertragung des optischen Modells aus, die allerdings in keiner Weise dem Erleben entspricht. Dort fehlt ja charakteristischerweise gerade der Eindruck, dass das „Original-Objekt“ bei mir bleibt, und auch das Erscheinen der Eifersucht beim anderen hat keineswegs Bildcharakter. In der Hinsicht scheint die Tiefenpsychologie ihr aus der Optik entlehntes „Projektions“-Modell aber ohnehin nicht konsequent „anzuwenden“; | So sähe eine konsequente Übertragung des optischen Modells aus, die allerdings in keiner Weise dem Erleben entspricht. Dort fehlt ja charakteristischerweise gerade der Eindruck, dass das „Original-Objekt“ bei mir bleibt, und auch das Erscheinen der Eifersucht beim anderen hat keineswegs Bildcharakter. In der Hinsicht scheint die Tiefenpsychologie ihr aus der Optik entlehntes „Projektions“-Modell aber ohnehin nicht konsequent „anzuwenden“; | ||
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+ | ==== Kritisch-realistische Sicht ==== | ||
Die begriffliche Verwirrung hat ihre Entsprechung in einer erkenntnistheoretischen Verwirrung hinsichtlich der Frage, was bei der Projektion „innen“ und „außen“ ist bzw. auf welchen unerklärlichen Wegen das „Projizierte“ „aus dem Inneren“ des Projizierenden „nach außen“ auf den „Empfänger und nunmehrigen Träger des Projizierten“ gelangt. Aus [[realismus_kritischer|kritisch-realistischer]] Perspektive besteht dieses Problem nicht: Ihr zufolge spielt sich der gesamte Vorgang der „Projektion“ innerhalb der phänomenalen Welt des „Projizierenden“ ab, weil auch der von ihm erlebte Andere immer Teil seiner eigenen phänomenalen Welt ist. Sein Gegenüber im transphänomenalen Sinn, also der andere Organismus als Träger einer eigenen phänomenalen Welt, bleibt davon „unangetastet“. (Denkbar ist allerdings, dass in weiterer Folge indirekt eine Wirkung auf diesen anderen ausgeübt wird als Folge z.B. meines misstrauischen Verhaltens). In Abgrenzung zu tiefenpsychologischen Konzeptualisierungen betont Wolfgang Zöller diese spezifische Systemsicht der Gestalttheorie: | Die begriffliche Verwirrung hat ihre Entsprechung in einer erkenntnistheoretischen Verwirrung hinsichtlich der Frage, was bei der Projektion „innen“ und „außen“ ist bzw. auf welchen unerklärlichen Wegen das „Projizierte“ „aus dem Inneren“ des Projizierenden „nach außen“ auf den „Empfänger und nunmehrigen Träger des Projizierten“ gelangt. Aus [[realismus_kritischer|kritisch-realistischer]] Perspektive besteht dieses Problem nicht: Ihr zufolge spielt sich der gesamte Vorgang der „Projektion“ innerhalb der phänomenalen Welt des „Projizierenden“ ab, weil auch der von ihm erlebte Andere immer Teil seiner eigenen phänomenalen Welt ist. Sein Gegenüber im transphänomenalen Sinn, also der andere Organismus als Träger einer eigenen phänomenalen Welt, bleibt davon „unangetastet“. (Denkbar ist allerdings, dass in weiterer Folge indirekt eine Wirkung auf diesen anderen ausgeübt wird als Folge z.B. meines misstrauischen Verhaltens). In Abgrenzung zu tiefenpsychologischen Konzeptualisierungen betont Wolfgang Zöller diese spezifische Systemsicht der Gestalttheorie: | ||
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Innerhalb der phänomenalen Welt wird es sich bei der „Projektion“ auch nicht um ein „Punkt-zu- Punkt-Geschehen“ handeln – wie durch die Optik-Analogie suggeriert – sondern um ein dynamisches Feldgeschehen, | Innerhalb der phänomenalen Welt wird es sich bei der „Projektion“ auch nicht um ein „Punkt-zu- Punkt-Geschehen“ handeln – wie durch die Optik-Analogie suggeriert – sondern um ein dynamisches Feldgeschehen, | ||
- | Projektion mag dann bedeuten, dass ich aus bestimmten Gründen die „Quelle“ dieser Färbung eher von meinem Gegenüber ausgehend erlebe, statt von mir selbst. Ein solcher Grund könnte durchaus der von Freud (s.o.) erwähnte sein, dass nämlich der Angriff „von außen“ kommend erträglicher ist, als der „von innen“. Ein weiterer Grund könnte z.B. ein rigides und bestimmendes Wertesystem sein (in dem z.B. aggressive Impulse „verboten“ sind). In Lewin’scher Terminologie bestünde dann eine „Wand“ oder „Barriere“ zwischen meinem erlebten Ich (das z.B. ein hohes Bedürfnis nach Frieden und Harmonie hat) und dem „nicht erlaubten“ aggressiven Gefühl. Das unschöne aggressive Gefühl wird also vom Ich „abgespalten“ (vgl. Stemberger zum Stichwort „Abspaltung“) und beim Gegenüber angesiedelt. Es sei wiederholt: Es handelt sich nicht um ein punktuelles „Hinüberschicken“ von isolierten Gefühlen, sondern um eine Umzentrierung oder Schwerpunktverlagerung in meiner weiterhin insgesamt z.B. „aggressiv“ oder „eifersüchtig“ eingefärbten phänomenalen Welt. Das „Aggressive“ oder „Eifersüchtige“ wird zwar beim anderen wahrgenommen, | + | Projektion mag dann bedeuten, dass ich aus bestimmten Gründen die „Quelle“ dieser Färbung eher von meinem Gegenüber ausgehend erlebe, statt von mir selbst. Ein solcher Grund könnte durchaus der von Freud (s.o.) erwähnte sein, dass nämlich der Angriff „von außen“ kommend erträglicher ist, als der „von innen“. Ein weiterer Grund könnte z.B. ein rigides und bestimmendes Wertesystem sein (in dem z.B. aggressive Impulse „verboten“ sind). In Lewin’scher Terminologie bestünde dann eine „Wand“ oder „Barriere“ zwischen meinem erlebten Ich (das z.B. ein hohes Bedürfnis nach Frieden und Harmonie hat) und dem „nicht erlaubten“ aggressiven Gefühl. Das unschöne aggressive Gefühl wird also vom Ich „abgespalten“ (vgl. Stemberger zum Stichwort „[[abspaltung|Abspaltung]]“) und beim Gegenüber angesiedelt. Es sei wiederholt: Es handelt sich nicht um ein punktuelles „Hinüberschicken“ von isolierten Gefühlen, sondern um eine [[umstrukturierung|Umzentrierung]] oder Schwerpunktverlagerung in meiner weiterhin insgesamt z.B. „aggressiv“ oder „eifersüchtig“ eingefärbten phänomenalen Welt. Das „Aggressive“ oder „Eifersüchtige“ wird zwar beim anderen wahrgenommen, |
- | In diesem Sinn verstanden lässt sich der Vorgang der „Projektion“ systematisch ohne jeglichen Rückgriff auf frühkindliche Entwicklungen beschreiben (was nicht ausschließen muss, dass Spekulationen dazu fruchtbar sein mögen). „Projektion“ ist an sich auch nichts „Böses“ oder per se Pathologisches, | + | ==== Funktion der als " |
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+ | In diesem Sinn verstanden lässt sich der Vorgang der „Projektion“ systematisch ohne jeglichen Rückgriff auf frühkindliche Entwicklungen beschreiben (was nicht ausschließen muss, dass Spekulationen dazu fruchtbar sein mögen). „Projektion“ ist an sich auch nichts „Böses“ oder per se Pathologisches, | ||
Aus gestalttheoretischer Sicht sollten Vorgänge dieser Art allerdings nicht nur unter dem Blickwinkel der psychischen Abwehr des Unerwünschten oder schwer Erträglichen gesehen werden. Wie das Gegenstück der „Projektion“, | Aus gestalttheoretischer Sicht sollten Vorgänge dieser Art allerdings nicht nur unter dem Blickwinkel der psychischen Abwehr des Unerwünschten oder schwer Erträglichen gesehen werden. Wie das Gegenstück der „Projektion“, | ||
- | Zusammenfassend: | + | ==== Zusammenfassend: |
- | **Literatur: | + | Der Begriff der „Projektion“ als solcher ist widersprüchlich und verleitet zu „schiefen“ Annahmen. Gestalttheoretisch gesehen handelt es sich bei dem gemeinten Phänomen um Schwerpunktverlagerungen oder Umzentrierungen im [[feldkonzepte_psychologische|psychischen Feld]], die mit Abspaltungen von der eigenen Person und vom eigenen Erleben verbunden sind. Solche Vorgänge spielen eine bedeutsame Rolle im ständigen Prozess der dynamischen Neuordnung der phänomenalen Welt zur Steuerung der Befriedigung oder eben Nicht-Befriedigung von Bedürfnissen und Quasi-Bedürfnissen und aller anderen Lebensprozesse. Sie sind Teil der Spannungssysteme, |
- | Freud, Sigmund (1920): Jenseits des Lustprinzips. // | + | **Siehe auch:** |
+ | * [[abspaltung|Abspaltung]] | ||
+ | * [[realismus_kritischer|Kritischer Realismus]] | ||
- | Fuchs, Thomas; Michael Ruh; Marianne Soff & Bernd Gerstner (1997): Psychoanalytische Konzepte im Lichte der Gestalttheorie, | + | **Literatur:** |
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- | Stemberger, Gerhard (2015): Ich und Selbst in der Gestalttheorie. // | + | |
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- | Stemberger, Gerhard (Hrsg., 2002): // | + | |
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- | Zöller, Wolfgang (1996). Zum wissenschaftlichen Standpunkt der Gestalttheoretischen Psychotherapie. //Gestalt Theory, 18//, 257-275. | + | |
+ | * Freud, Sigmund (1920): Jenseits des Lustprinzips. // | ||
+ | * Fuchs, Thomas; Michael Ruh; Marianne Soff & Bernd Gerstner (1997): [[http:// | ||
+ | * Heckhausen, Heinz (1960): Die Problematik des Projektionsbegriffs und die Grundlagen und Grundannahmen des Thematischen Auffassungstests (TAT), // | ||
+ | * Stemberger, Gerhard (2015): [[https:// | ||
+ | * Stemberger, Gerhard (Hrsg., 2002): // | ||
+ | * Zöller, Wolfgang (1996). [[http:// |