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machtfeld [08.01.2017 17:43]
stemberger
machtfeld [12.03.2024 13:26] (aktuell)
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 ====== Machtfeld ====== ====== Machtfeld ======
-//Gerhard Stemberger, Wien und Berlin//+[EN: power field] 
 + 
 +//[[http://www.oeagp.at/cms/index.php?page=gerhard_stemberger|Gerhard Stemberger]], Wien und Berlin//
  
 Das theoretische Konzept der Machtfelder geht auf Kurt Lewin zurück. Jede Art der [[kraftfeldanalyse|Kraftfeldanalyse]] macht in der Regel auch eine Machtfeldanalyse erforderlich. Das theoretische Konzept der Machtfelder geht auf Kurt Lewin zurück. Jede Art der [[kraftfeldanalyse|Kraftfeldanalyse]] macht in der Regel auch eine Machtfeldanalyse erforderlich.
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 ==== Der Machtbegriff bei Kurt Lewin ==== ==== Der Machtbegriff bei Kurt Lewin ====
  
-Macht ist im Verständnis Lewins die Möglichkeit einer Person, in einer anderen Person Kräfte von bestimmter Größe bzw. einen Zustandswechsel zu induzieren (vgl. Lewin 1944 in 1951). Macht ist nicht gleichbedeutend mit einer tatsächlichen Einflussnahme von B auf A, sondern die von A wahrgenommene oder angenommene Möglichkeit+Macht ist im Verständnis Lewins //**die Möglichkeit einer Person, in einer anderen Person Kräfte von bestimmter Größe bzw. einen Zustandswechsel zu induzieren**// (vgl. Lewin 1944 in 1951). Macht ist nicht gleichbedeutend mit einer tatsächlichen Einflussnahme von B auf A, sondern die von A wahrgenommene oder angenommene Möglichkeit
 oder Fähigkeit von B zu einer solchen Einflussnahme. „Diese Betonung von Macht als Potentialität ist eine sehr oder Fähigkeit von B zu einer solchen Einflussnahme. „Diese Betonung von Macht als Potentialität ist eine sehr
 wichtige und eindeutige konzeptionelle Klarstellung, die von vielen Sozialpsychologen übersehen oder missverstanden wurde, die (soziale) Macht mit (sozialem) Einfluss gleichsetzten oder soziale Macht für eine spezielle Klasse von Einfluss halten (...). Was diese Autoren übersehen, ist eine der grundlegenden psychologischen und sozialen Eigenheiten von Macht, dass sie nämlich nicht ausgeübt werden muss, aber ausgeübt werden kann…“ (Graumann 1986, 87; Übers. GSt). wichtige und eindeutige konzeptionelle Klarstellung, die von vielen Sozialpsychologen übersehen oder missverstanden wurde, die (soziale) Macht mit (sozialem) Einfluss gleichsetzten oder soziale Macht für eine spezielle Klasse von Einfluss halten (...). Was diese Autoren übersehen, ist eine der grundlegenden psychologischen und sozialen Eigenheiten von Macht, dass sie nämlich nicht ausgeübt werden muss, aber ausgeübt werden kann…“ (Graumann 1986, 87; Übers. GSt).
  
-Die Lewinsche Konzeption von Macht und Machtfeldern bezieht sich also vorrangig auf Einfluss//möglichkeiten//, +Die Lewinsche Konzeption von Macht und Machtfeldern bezieht sich also vorrangig auf **Einfluss//möglichkeiten//**, nicht auf tatsächliche **Einfluss//nahmen//**. Dementsprechend geht es auch in der Machtfeldanalyse nicht so sehr um die Feststellung tatsächlicher Handlungen und Verhaltensweisen, mit denen B Einfluss auf A ausübt, sondern darum, wie A in seinem Lebensraum die Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten von B erlebt und einschätzt, also um die Untersuchung seiner diesbezüglichen Hoffnungen und Befürchtungen - sowie der verhaltenswirksamen Einschätzungen seiner eigenen Macht. Erst in diesem Kontext lassen sich die tatsächlichen Versuche der Beeinflussung von A durch B und des Umgangs von A damit angemessen untersuchen.
-nicht auf tatsächliche Einflussnahmen. Dementsprechend geht es auch in der Machtfeldanalyse nicht so sehr um +
-die Feststellung tatsächlicher Handlungen und Verhaltensweisen, mit denen B Einfluss auf A ausübt, sondern darum, wie A in seinem Lebensraum die Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten von B erlebt und einschätzt, also +
-um die Untersuchung seiner diesbezüglichen Hoffnungen und Befürchtungen - sowie der verhaltenswirksamen +
-Einschätzungen seiner eigenen Macht. Erst in diesem Kontext lassen sich die tatsächlichen Versuche der Beeinflussung von A durch B und des Umgangs von A damit angemessen untersuchen.+
  
 Für Kurt Lewin ist Macht nicht an einen Kontext des Bezwingens eines Schwächeren durch einen Stärkeren gebunden. Lewin versteht unter Macht vielmehr in einem viel weiteren Sinn die „Möglichkeit, in einer anderen Person Kräfte von bestimmter Größe zu induzieren“ (Lewin 1944 in 1951, 404) bzw. allgemeiner: „einen Zustandswechsel zu induzieren“ (Lewin 1941 in 1982, 360): Damit sind in Lewins Machtverständnis auch Fälle mit eingeschlossen, in denen beide Seiten gleich stark sind, oder sogar solche, wo ein Schwächerer Kräfte in Für Kurt Lewin ist Macht nicht an einen Kontext des Bezwingens eines Schwächeren durch einen Stärkeren gebunden. Lewin versteht unter Macht vielmehr in einem viel weiteren Sinn die „Möglichkeit, in einer anderen Person Kräfte von bestimmter Größe zu induzieren“ (Lewin 1944 in 1951, 404) bzw. allgemeiner: „einen Zustandswechsel zu induzieren“ (Lewin 1941 in 1982, 360): Damit sind in Lewins Machtverständnis auch Fälle mit eingeschlossen, in denen beide Seiten gleich stark sind, oder sogar solche, wo ein Schwächerer Kräfte in
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 Der Ausgangspunkt des Konzepts der Machtfelder kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Der Ausgangspunkt des Konzepts der Machtfelder kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
  
-Der Mensch erlebt sich in der Regel in einer Welt von treibenden und hemmenden Kräften. Er fühlt sich von bestimmten Dingen, Menschen, Handlungsmöglichkeiten angezogen, von anderen ferngehalten. Das veranlasst ihn, das eine zu tun und das andere zu lassen. Die dabei wirksamen Kräfte können eigenen Bedürfnissen und Vorhaben +Der Mensch erlebt sich in der Regel in einer Welt von treibenden und hemmenden Kräften. Er fühlt sich von bestimmten Dingen, Menschen, Handlungsmöglichkeiten angezogen, von anderen ferngehalten. Das veranlasst ihn, das eine zu tun und das andere zu lassen. Die dabei wirksamen Kräfte können //eigenen// Bedürfnissen und Vorhaben des betreffenden Menschen entsprechen; sie können stattdessen aber auch von Menschen oder Sachverhalten //außerhalb// der eigenen Person angeregt worden sein. „Derartige Kräfte im Lebensraum […] werden **induzierte Kräfte** genannt und die dazugehörigen positiven und negativen Valenzen **‚induzierte Valenzen‘**“ (Lewin 1946/1982, 400).
-des betreffenden Menschen entsprechen; sie können stattdessen aber auch von Menschen oder Sachverhalten außerhalb der eigenen Person angeregt worden sein. „Derartige Kräfte im Lebensraum […] werden **induzierte Kräfte** genannt und die dazugehörigen positiven und negativen Valenzen **‚induzierte Valenzen‘**“ (Lewin 1946/1982, 400).+
  
 Beispielsweise erhalten im Lebensraum eines Kindes viele Dinge und Verhaltensweisen für das Kind einen positiven oder negativen Aufforderungscharakter oder die Eigenschaft einer Barriere nicht unmittelbar durch die Bedürfnisse des Kindes selbst, sondern durch ein induzierendes Machtfeld eines Erwachsenen oder auch eines anderen Kindes oder einer Gruppe. Beispielsweise erhalten im Lebensraum eines Kindes viele Dinge und Verhaltensweisen für das Kind einen positiven oder negativen Aufforderungscharakter oder die Eigenschaft einer Barriere nicht unmittelbar durch die Bedürfnisse des Kindes selbst, sondern durch ein induzierendes Machtfeld eines Erwachsenen oder auch eines anderen Kindes oder einer Gruppe.
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 die „[[physiognomische_charaktere|physiognomischen Charaktere]]“, von denen Kurt Koffka spricht).  die „[[physiognomische_charaktere|physiognomischen Charaktere]]“, von denen Kurt Koffka spricht). 
  
-Daneben gibt es weitere psychologisch relevante Differenzierungen von induzierenden Kräften. Eine Systematik dieser Differenzierungen verhaltensbestimmender Kräfte findet sich bei Stemberger 2016.+Daneben gibt es weitere psychologisch relevante Differenzierungen von induzierenden Kräften. Eine Systematik dieser Differenzierungen verhaltensbestimmender Kräfte findet sich bei [[https://www.academia.edu/35375624/Stemberger 2016]].
  
  
 ==== Begriff des Machtfeldes ==== ==== Begriff des Machtfeldes ====
-Mit dem Konstrukt Machtfeld wird dem Lewinschen Machtbegriff entsprechend **ein [[feld_psychologisches|psychologisches Feld]]** mit bestimmter Reichweite und Stärke** bezeichnet, in dem jemand (oder etwas) die Möglichkeit hat, Kräfte oder einen Zustandswechsel in anderen Menschen (oder in anderen Wesen) zu induzieren.+Mit dem Konstrukt Machtfeld wird dem Lewinschen Machtbegriff entsprechend **ein [[feld_psychologisches|psychologisches Feld]] mit bestimmter Reichweite und Stärke** bezeichnet, in dem jemand (oder etwas) die Möglichkeit hat, Kräfte oder einen Zustandswechsel in anderen Menschen (oder in anderen Wesen) zu induzieren.
  
 Als Beispiel für die Induktion "fremder Kräfte" kann man anführen: Ein Kind möchte gerne die verlockend glitzernde Kristallvase in die Hand nehmen, diese erhält aber über die induzierende Wirkung des Machtfeldes seiner Eltern, die ihm das verboten haben, die abschreckende Färbung des Gefährlichen. Als Beispiel für die Induktion "fremder Kräfte" kann man anführen: Ein Kind möchte gerne die verlockend glitzernde Kristallvase in die Hand nehmen, diese erhält aber über die induzierende Wirkung des Machtfeldes seiner Eltern, die ihm das verboten haben, die abschreckende Färbung des Gefährlichen.
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 Eine ziemlich andere Art von Einheitlichkeit der Person ergibt sich, wenn eine Anzahl Häupter von ungefähr gleicher Macht auf eher ‚demokratische‘ Weise organisiert sind. Hier wird die Spitze einer hierarchischen Struktur von einer Gruppe von Häuptern gebildet, die in einem die Politik bestimmenden Teil (H) des Ganzen zusammengeschlossen sind. Betrachtet man dieses H als Region, so ist der Einheitlichkeitsgrad des Ganzen hoch, Eine ziemlich andere Art von Einheitlichkeit der Person ergibt sich, wenn eine Anzahl Häupter von ungefähr gleicher Macht auf eher ‚demokratische‘ Weise organisiert sind. Hier wird die Spitze einer hierarchischen Struktur von einer Gruppe von Häuptern gebildet, die in einem die Politik bestimmenden Teil (H) des Ganzen zusammengeschlossen sind. Betrachtet man dieses H als Region, so ist der Einheitlichkeitsgrad des Ganzen hoch,
 obwohl es innerhalb des Ganzen keine allmächtige Einzelzelle gibt. **Harmonische und leicht bewegliche obwohl es innerhalb des Ganzen keine allmächtige Einzelzelle gibt. **Harmonische und leicht bewegliche
-Personen haben vielleicht eine innere Struktur von dieser Art.**“ (Lewin 1941 in Lewin 1982, 362f; Übers. Korrig, Hervorhebung GSt).+Personen haben vielleicht eine innere Struktur von dieser Art.**“ (Lewin 1941 in Lewin 1982, 362f; Übers. korrigiert, Hervorhebung GSt).
  
 **Ausführlicher zu diesem Thema:** **Ausführlicher zu diesem Thema:**
-  * Stemberger, Gerhard (2016): Machtfelder in der Psychotherapie. Teil 1: Kurt Lewins theoretisches Konzept der Machtfelder. //Phänomenal, 8//(2), 19-32.+  * Stemberger, Gerhard (2016): [[https://www.academia.edu/35375624/|Machtfelder in der Psychotherapie. Teil 1: Kurt Lewins theoretisches Konzept der Machtfelder]]. //Phänomenal, 8//(2), 19-32. 
 +  * Stemberger, Gerhard (2017): [[https://www.academia.edu/36791307/|Machtfelder in der Psychotherapie. Teil 2]]. //Phänomenal, 9//(1), 17-32 (mit einem Anhang "Arbeiten mit Machtfeldern in der Psychotherapie" und einem Anhang "Dynamik und Wirkung von Machtfeldern - Ein literarisches Beispiel von Lew Tolstoi, kommentiert von Kurt Lewin")
  
 **Zitierte Literatur:** **Zitierte Literatur:**
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   * Graumann, Carl F. (1986): Power and Leadership in Lewinian Field Theory: Recalling an Interrupted Task. In: C. F. Graumann & S. Moscovici (Eds.), //Changing Conceptions of Leadership//, New York Berlin Heidelberg Tokyo: Springer, 83-99.   * Graumann, Carl F. (1986): Power and Leadership in Lewinian Field Theory: Recalling an Interrupted Task. In: C. F. Graumann & S. Moscovici (Eds.), //Changing Conceptions of Leadership//, New York Berlin Heidelberg Tokyo: Springer, 83-99.
   * Lewin, Kurt (1944/1951): Constructs in Field Theory (1944). In K. Lewin 1951, //Field Theory in Social Science: Selected Theoretical Papers//, New York: Harper & Brothers. (Deutsch: Konstrukta in der Feldtheorie. In Lewin 1963, 74-85).   * Lewin, Kurt (1944/1951): Constructs in Field Theory (1944). In K. Lewin 1951, //Field Theory in Social Science: Selected Theoretical Papers//, New York: Harper & Brothers. (Deutsch: Konstrukta in der Feldtheorie. In Lewin 1963, 74-85).
-  * Lewin, Kurt (1946/1982): Behavior and Development as a Function of the Total Situation (1946). Deutsch: Verhalten und Entwicklung als Funktion der Gesamtsituation. In: //Kurt-Lewin-Werkausgabe, Band 6// ([[http://www.krammerbuch.at/shop/showArticle.php?id=1878|Psychologie der Entwicklung und Erziehung]]), Bern/Stuttgart: Huber/Klett Cotta, 375-449. +  * Lewin, Kurt (1946/1982): Behavior and Development as a Function of the Total Situation (1946). Deutsch: Verhalten und Entwicklung als Funktion der Gesamtsituation. In: //Kurt-Lewin-Werkausgabe, Band 6// (Psychologie der Entwicklung und Erziehung), Bern/Stuttgart: Huber/Klett Cotta, 375-449. 
-  * Lewin, Kurt (1963): //[[http://www.krammerbuch.at/shop/showArticle.php?id=5287|Feldtheorie in den Sozialwissenschaften: Ausgewählte Theoretische Schriften]]//. Bern: Huber (Neuauflage als Taschenbuch Hogrefe 2012).+  * Lewin, Kurt (1963/2012): //[[https://www.hogrefe.com/de/shop/feldtheorie-in-den-sozialwissenschaften-63140.html|Feldtheorie in den Sozialwissenschaften]]//. Bern: Huber. Neauflage 2012 Hogrefe-Verlag. 
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 +**Kurt Lewin:  
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 +Feldtheorie in den Sozialwissenschaften 
 +Ausgewählte theoretische Schriften**  
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 +2., unveränd. Aufl. 2012  
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 +395 Seiten | ISBN 9783456850764| Preis 34,95 Euro 
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 +-> [[https://www.hogrefe.com/de/shop/feldtheorie-in-den-sozialwissenschaften-63140.html|Bestellen beim Verlag Hogrefe]]
  
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