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gruppe

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gruppe [11.01.2021 18:02]
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gruppe [12.03.2024 13:26] (aktuell)
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 ====== Gruppe ====== ====== Gruppe ======
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 //Thomas Stöcker, Potsdam// //Thomas Stöcker, Potsdam//
  
 ===== Was ist eine Gruppe? ===== ===== Was ist eine Gruppe? =====
  
-Ist sie ein Gedankending oder ist sie etwas Wirkliches? Die Antwort Lewins (1975) darauf lautet, dass eine Gruppe genauso wirklich ist wie die Menschen, die ihr angehören. Sie hat Eigenschaften wie z.B. eine Struktur, eine Atmosphäre, die man nur ihr, aber keinem ihrer Mitglieder zuschreiben kann. Die Angehörigen einer Gruppe haben in ihr neue Eigenschaften, die sie ohne die Gruppe nicht haben, ihre Rollen.+Ist sie ein Gedankending oder ist sie etwas [[wirklichkeit|Wirkliches]]? Die Antwort Lewins (1975) darauf lautet, dass eine Gruppe genauso wirklich ist wie die Menschen, die ihr angehören. Sie hat Eigenschaften wie z.B. eine Struktur, eine Atmosphäre, die man nur ihr, aber keinem ihrer Mitglieder zuschreiben kann. Die Angehörigen einer Gruppe haben in ihr neue Eigenschaften, die sie ohne die Gruppe nicht haben, ihre Rollen.
  
 ===== Was macht die Realität einer Gruppe aus, im Unterschied zu einer Ansammlung von Einzelindividuen? ===== ===== Was macht die Realität einer Gruppe aus, im Unterschied zu einer Ansammlung von Einzelindividuen? =====
  
-Kurt Koffka (1935) greift zur Beschreibung des Phänomens Gruppe auf das Beispiel der Melodie zurück, die sich durch das strukturelle Zueinander der Töne definiert. Die Töne sind beliebig veränderbar, aber die Melodie bleibt solange bestehen, solange das strukturelle Zueinander (im Fall der Töne die Intervalle) nicht verändert werden. Gruppen haben Gestaltcharakter und definieren sich über die Verbindungen untereinander. Zwar können bei der Gruppenbildung die gleichen Gestaltgesetze wirken wie bei den Objekten der Wahrnehmungswelt, nach Lewin (1975) ist aber die wechselseitige Abhängigkeit der stärkste Faktor für die Bildung von Gruppen. Die entscheidenden Kennzeichen einer Gruppe sind das Gefühl der Zugehörigkeit ("Wirgefühl") und die wechselseitige Abhängigkeit der Mitglieder voneinander.+Kurt Koffka (1935) greift zur Beschreibung des Phänomens Gruppe auf das Beispiel der Melodie zurück, die sich durch das strukturelle Zueinander der Töne definiert. Die Töne sind beliebig veränderbar, aber die Melodie bleibt solange bestehen, solange das strukturelle Zueinander (im Fall der Töne die Intervalle) nicht verändert werden. Gruppen haben Gestaltcharakter und definieren sich über die Verbindungen untereinander. Zwar können bei der Gruppenbildung die gleichen Gestaltgesetze wirken wie bei den Objekten der Wahrnehmungswelt, nach Lewin (1975) ist aber die wechselseitige Abhängigkeit der stärkste Faktor für die Bildung von Gruppen. Die entscheidenden Kennzeichen einer Gruppe sind das Gefühl der [[zugehoerigkeit|Zugehörigkeit ("Wirgefühl")]] und die wechselseitige Abhängigkeit der Mitglieder voneinander.
  
 "Nicht Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit entscheidet, ob zwei Menschen den gleichen oder verschiedenen Gruppen angehören, sondern soziale Wechselwirkungen oder andere Typen gegenseitiger Abhängigkeit. Eine Gruppe ist am besten zu definieren als ein dynamisches Ganzes, das mehr auf gegenseitiger Abhängigkeit als auf Ähnlichkeit beruht." (Lewin 1975, 256 f). "Nicht Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit entscheidet, ob zwei Menschen den gleichen oder verschiedenen Gruppen angehören, sondern soziale Wechselwirkungen oder andere Typen gegenseitiger Abhängigkeit. Eine Gruppe ist am besten zu definieren als ein dynamisches Ganzes, das mehr auf gegenseitiger Abhängigkeit als auf Ähnlichkeit beruht." (Lewin 1975, 256 f).
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 Nach Lewin (1975) weisen alle Gruppen, sobald sie sich konstituiert haben ("Forming, Storming, Norming and Performing") eine soziale Schichtung mit Ausdifferenzierung unterschiedlicher Rollen und mehr oder minder klar differenzierten Grenzen auf. Dies kann man sich in der Art eines Schalenmodells vorstellen, dessen Kern die zentralen Werte, Ziele oder Stereotypen der Gruppe bilden (soziale Identität). Von diesem Zentrum gehen auf das einzelne Individuum positive und/oder negative Valenzen aus. Nach Lewin (1975) weisen alle Gruppen, sobald sie sich konstituiert haben ("Forming, Storming, Norming and Performing") eine soziale Schichtung mit Ausdifferenzierung unterschiedlicher Rollen und mehr oder minder klar differenzierten Grenzen auf. Dies kann man sich in der Art eines Schalenmodells vorstellen, dessen Kern die zentralen Werte, Ziele oder Stereotypen der Gruppe bilden (soziale Identität). Von diesem Zentrum gehen auf das einzelne Individuum positive und/oder negative Valenzen aus.
  
-Positive Valenzen: Jemand fühlt sich zu der Gruppen hingezogen und mit den Werten und Zielen verbunden.+Positive [[aufforderungscharakter|Valenzen]]: Jemand fühlt sich zu der Gruppen hingezogen und mit den Werten und Zielen verbunden.
  
-Negative Valenzen: Jemand schämt sich für seine Gruppe, würde sie am liebsten verlassen, um zu einer besser angesehenen Gruppe zu gehören.+Negative [[aufforderungscharakter|Valenzen]]: Jemand schämt sich für seine Gruppe, würde sie am liebsten verlassen, um zu einer besser angesehenen Gruppe zu gehören.
  
-Lewin (1975) hebt hervor, dass eine Gruppe ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen positiven und negativen Valenzen aufweisen muss. Überwiegen die negativen Valenzen, droht die Gruppe auseinanderzubrechen. Überwiegen die positiven Valenzen, feiert sich eine Gruppe nur noch selbst, die Außensicht wird zunehmend undifferenziert, Personen und Gruppen außerhalb der eigenen Gruppe werden nur noch stereotyp wahrgenommen und es kommt zu Fehleinschätzungen der Umwelt (z.B. chauvinistisches Verhalten, Risikoschub).+Lewin (1975) hebt hervor, dass eine Gruppe ein ausgewogenes [[gleichgewicht|Gleichgewicht]] zwischen positiven und negativen Valenzen aufweisen muss. Überwiegen die negativen Valenzen, droht die Gruppe auseinanderzubrechen. Überwiegen die positiven Valenzen, feiert sich eine Gruppe nur noch selbst, die Außensicht wird zunehmend undifferenziert, Personen und Gruppen außerhalb der eigenen Gruppe werden nur noch stereotyp wahrgenommen und es kommt zu Fehleinschätzungen der Umwelt (z.B. chauvinistisches Verhalten, Risikoschub).
  
 Neben den Kräften, die vom Kern einer Gruppe ausgehen, gibt es insbesondere bei benachteiligten Minderheitengruppen auch Kräfte der Umwelt, die den Einzelnen am Verlassen der Gruppe hindern. Wird eine Gruppe im wesentlichen durch äußere Barrieren zusammengehalten, kommt es in der Regel nur zu einem schwachen Wirgefühl oder gar zu Selbsthass (Lewin 1975), der sich gegen die eigene Person oder die eigene Gruppe richtet. Neben den Kräften, die vom Kern einer Gruppe ausgehen, gibt es insbesondere bei benachteiligten Minderheitengruppen auch Kräfte der Umwelt, die den Einzelnen am Verlassen der Gruppe hindern. Wird eine Gruppe im wesentlichen durch äußere Barrieren zusammengehalten, kommt es in der Regel nur zu einem schwachen Wirgefühl oder gar zu Selbsthass (Lewin 1975), der sich gegen die eigene Person oder die eigene Gruppe richtet.
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 ===== Zur Gruppe als Raum schöpferischer Freiheit (Psychotherapie) ===== ===== Zur Gruppe als Raum schöpferischer Freiheit (Psychotherapie) =====
  
-Die soziale Gruppe ist der Boden des [[lebensraum|Lebensraums]] (Lewin 1975) und somit die Quelle von Verhaltensweisen - was liegt also näher, als die Gruppe zum Boden für Verhaltensänderungen zu machen? Gelingt es, die Rahmenbedingungen einer Gruppe so zu gestalten, dass sie ein Raum schöpferischer Freiheit wird, dann bietet sie dem Einzelnen die Möglichkeit, sich der Gruppe mit seiner phänomenalen Sicht der Welt, seinen Einstellungen und Verhaltensweise zu präsentieren und die Kräfte in seinem Lebensraum zu explorieren. Die Gruppe dient hierbei als Prüfstein, an der die eigenen Verhaltens- und Sichtweisen gemessen werden. Sie bietet einen Raum, in dem Zugehörigkeit erfahrbar wird und Vergangenheits- und Zukunftsperspektive sowie die Realitäts- und Irrealitätsebene des Lebensraums überprüfbar und für Veränderung zugänglich gemacht werden kann, um eine pessimistische Sicht des Menschen und des eigenen Lebens zu überwinden (Walter 1985).+Die soziale Gruppe ist der Boden des [[lebensraum|Lebensraums]] (Lewin 1975) und somit die Quelle von Verhaltensweisen - was liegt also näher, als die Gruppe zum Boden für Verhaltensänderungen zu machen? Gelingt es, die Rahmenbedingungen einer Gruppe so zu gestalten, dass sie ein [[schoepferische_freiheit|Raum schöpferischer Freiheit]] wird, dann bietet sie dem Einzelnen die Möglichkeit, sich der Gruppe mit seiner phänomenalen Sicht der Welt, seinen Einstellungen und Verhaltensweise zu präsentieren und die Kräfte in seinem [[lebensraum|Lebensraum]] zu explorieren. Die Gruppe dient hierbei als Prüfstein, an der die eigenen Verhaltens- und Sichtweisen gemessen werden. Sie bietet einen Raum, in dem Zugehörigkeit erfahrbar wird und Vergangenheits- und Zukunftsperspektive sowie die Realitäts- und Irrealitätsebene des Lebensraums überprüfbar und für Veränderung zugänglich gemacht werden kann, um eine pessimistische Sicht des Menschen und des eigenen Lebens zu überwinden (Walter 1985). 
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 +==== Literatur: ==== 
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 +  * Beneder, Doris (2019): [[https://www.academia.edu/41230912/|Im Fokus der Gruppentherapie: Engagierte Zusammenarbeit]]. //Phänomenal, 11//(1), 18-28. 
 +  * Koffka, Kurt (1935): //Principles of Gestalt psychology//. New York: Harcourt. 
 +  * Lewin, Kurt (1975): //Die Lösung sozialer Konflikte//. Bad Nauheim: Christian Verlag. 4. Auflage 
 +  * Metzger, Wolfgang (1986): //Gestalt-Psychologie//. Frankfurt Verlag Waldemar Kramer. 
 +  * Walter, Hans-Jürgen (1994): //Gestalttheorie und Psychotherapie. Zur integrativen Anwendung zeitgenössischer Therapieformen//. 3. Auflage. Opladen. 
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 +<WRAP center round box 80%> 
 +{{:lewinfeldtheoriesw.jpg?200 |}} 
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 +**Kurt Lewin:  
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 +Feldtheorie in den Sozialwissenschaften 
 +Ausgewählte theoretische Schriften** 
  
-**Literatur:**+2., unveränd. Aufl. 2012 
  
-KoffkaKurt (1935): //Principles of Gestalt psychology//. New York: Harcourt.+395 Seiten | ISBN 9783456850764| Preis 34,95 Euro
  
-Lewin, Kurt (1975): //Die Lösung sozialer Konflikte//. Bad Nauheim: Christian Verlag. 4. Auflage+-> [[https://www.hogrefe.com/de/shop/feldtheorie-in-den-sozialwissenschaften-63140.html|Bestellen beim Verlag Hogrefe]]
  
-Metzger, Wolfgang (1986): //Gestalt-Psychologie//. Frankfurt Verlag Waldemar Kramer.+</WRAP>
  
-Walter, Hans-Jürgen (1994): //Gestalttheorie und Psychotherapie. Zur integrativen Anwendung zeitgenössischer Therapieformen//. 3. Auflage. Opladen. 
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