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figur_grund [16.07.2021 16:01] stemberger |
figur_grund [12.03.2024 13:26] (aktuell) |
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====== Figur/Grund ====== | ====== Figur/Grund ====== | ||
- | //Eintrag in Bearbeitung// | + | [EN: figure/ground] |
- | ==== Die Figur-Grund-Differenzierung ==== | + | |
- | Metz-Göckel 2008: "Die Figur-Grund-Differenzierung ist neben der Gruppierung und seinen Faktoren eines der wichtigsten Erkenntnisse der Gestalttheorie. In der Wahrnehmung gliedern sich Figuren, Dinge, Gegebenheiten aus und heben sich von einem Hintergrund ab. Viele der Forschungs- und Diskussionsbeiträge beziehen sich im Anschluss an die klassischen Studien von Rubin (1921) auf die Faktoren, die die Ausgliederung der Figur begünstigen. Diese sind Konvexität, | + | //Angelika Böhm, Wien// |
- | Außerdem wurden die besonderen Verhältnisse und Funktionen, in denen sich Figur und Grund unterscheiden, | + | ==== Pionier der Figur-Grund-Forschung: Edgar Rubin ==== |
+ | Das Begriffspaar | ||
- | ====Funktion des Hintergrundes==== | + | Rubin hat die [[phaenomenologie|Phänomenologie]] dieser Art von Figur/ |
- | Allerdings gibt es viele Belege dafür, dass dem Hintergrund gleichfalls eine Funktion zuzuweisen ist. Dabei zeigt sich, dass eine Figur ihren besonderen Charakter durch die Verankerungen in einem Grund hat, was bei der üblichen Lehrbuchbehandlung selten thematisiert wird. In wahrnehmungspsychologischen Abhandlungen werden aber gelegentlich Reizverhältnisse aufgeführt, | + | In der Gestaltpsychologie wurden |
- | ====Figur und Gestalt==== | + | ==== Eigenheiten von Figur und Grund ==== |
+ | Wird etwas in der visuellen Wahrnehmung als Figur wahrgenommen, | ||
- | Bisweilen | + | Selbst bei der visuellen Wahrnehmung |
- | ====Figur/ | + | Die konkrete Herkunft und Bedeutung des wahrnehmungspsychologischen |
- | (Funktionswechsel | + | |
- | Nach Edgar Rubin kann eine Figur bei geeigneter optischer Reizkonstellation und bei entsprechendem Verhalten der betrachtenden Person den Charakter eines Grundes annehmen; zugleich wird umgekehrt der Teil der Konstellation, | + | ==== Figur/Grund als Bezugssystem ==== |
- | //Beispiel bei Kurt Gottschaldt (1933)://\\ | + | In der Gestalttheorie nehmen die Figur-Grund-Phänomene einen Platz im übergeordneten, weit darüber hinausreichenden Bereich |
- | Ein Kind steht (ähnlich wie bei den Anthropoidenversuchen Köhlers) vor der Aufgabe, sich Zugang zu einem Spielzeug zu verschaffen, | + | |
- | ====Intentionale Strukturierung, intentional-betonte Figur, intentional-neutraler Grund==== | + | Schon im Bereich der visuellen Wahrnehmung können also vielfältige Bezugssysteme wirksam werden, nicht selten auch mehrere ineinander verflochten. Wolfgang Metzger führt einige Beispiele an, die schon früh erforscht wurden |
- | Von der phänomenalen Strukturierung des Feldes ist nach Gottschaldt | + | |
- | Erstes Moment | + | * So wie der Grund zum Bezugssystem von figurhaft wahrgenommenen Sachverhalten wird, wird das anschaulich Umschließende bevorzugt zum Bezugssystem für das Umschlossene |
+ | * das Beständige wird bevorzugt zum Bezugssystem für das Unbeständige, | ||
+ | * die Randgebiete des Gesichtsfelds werden bevorzugt zum Bezugssystem für das Angeblickte (Duncker 1928); | ||
+ | * der Boden, auf dem sich etwas befindet, oder der Träger, an dem sich dieses Etwas befindet, wird bevorzugt zum Bezugssystem für dieses Etwas (Oppenheimer 1935, Duncker 1928); | ||
+ | * das anschaulich Wirkliche (feste und solide) wird bevorzugt zum Bezugssystem für das anschaulich Scheinhafte, | ||
- | Zweites Moment (intentionale Strukturierung): | + | Welches Bezugssystem bzw. welches Geflecht von Bezugssystemen in Wahrnehmung, Erleben und Verhalten gerade wirksam wird, hängt also von der konkreten Sachlage ab und wie diese von der Person aufgefasst wird. Nicht immer ist dabei eine Figur-Grund-Abhebung das Bestimmende und auch nicht immer das der Situation Angemessene: |
- | //Beispiele bei Kurt Gottschaldt: | + | ==== Figur/Grund-Gliederung als " |
- | "Wenn ich vor einem Bücherregal stehe und ein bestimmtes Buch suche, so bildet die optische Gegebenheit des Regals | + | Es gibt auch Fälle, wo die Figur-Grund-Gliederung nicht nur //ein// mögliches Bezugssystem neben vielen anderen ist, sondern zugleich auch das "schlechteste" |
- | Oder:\\ | + | |
- | "Wenn sich in einem Spielfeld | + | |
- | Die Weite und Enge des psychischen Umfeldes erweist | + | ==== Unterschiede Bezugssystem |
+ | Im Unterschied zur Beziehung zwischen dem Teil zum Ganzen kennzeichnet Bezugssysteme (und damit auch die Figur-Grund-Beziehung) die einseitige Begrenzung: „Nimmt man einen Teil aus einem Ganzen, so entsteht eine Lücke; nimmt man aber einen Gegenstand aus seinem Bezugssystem, | ||
+ | |||
+ | ====Nicht alles, was auffällt, ist Figur auf Grund==== | ||
+ | |||
+ | In den Gesetzen des Sehens (1975) wendet | ||
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+ | Auf derartige Fälle nimmt Metzger schon in seiner // | ||
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+ | Man kann also nicht einfach davon ausgehen, dass die Figur-Grund-Gliederung in jeder gegebenen Situation das Bezugssystem des gerade ablaufenden Geschehens ist. Es geht vielmehr immer um die Klärung, welches Bezugssystem gerade in der Wahrnehmung | ||
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+ | ====Vergleich mit der Gestalttherapie-Theorie==== | ||
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+ | Vereinfacht und zugespitzt kann man die Figur/ | ||
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+ | 1. In der Gestalttherapie-Literatur ist die Figur-Grund-Bildung das Prinzip, nach dem [[gestalt|Gestalten]] entstehen (z.B. „Gestalt wird in der Gestalttherapie als Dynamik des Hervortretens einer Figur vor einem Hintergrund dargestellt.“ Fuhr 2000, 242). In der [[gestalttheorie_gestaltpsychologie|Gestaltpsychologie]] dagegen wird die Entstehung, Veränderung | ||
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+ | 2. In der Gestalttherapie-Theorie wird die Figur (für sie gleichbedeutend mit Gestalt) durch das gerade aktuelle Bedürfnis und die damit verbundene Aufmerksamkeit erzeugt; sie verschwindet mit der Befriedigung dieses Bedürfnisses. | ||
+ | In der Gestaltpsychologie ist die Figur nicht gleichbedeutend mit Gestalt. Zwar haben manche Gestalten auch die [[gestalteigenschaften_arten|Gestaltqualität]] des Figurhaften, Gestalten sind aber nicht auf diese Fälle beschränkt. Nach Auffassung der Gestaltpsychologie werden Gestalten auch weder durch die Aufmerksamkeit noch durch die Bedürfnisse erzeugt. Vielmehr richten sich Aufmerksamkeit und Bedürfnisse auf bereits vorgefundene Gestalten, die durch Aufmerksamkeit und Bedürfnisse hervorgehoben und manchmal auch deutlich verändert, aber eben nicht erschaffen werden. | ||
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+ | 3. In der Gestalttherapie-Literatur wird das Figur-Grund-Prinzip in einer Interpretation, | ||
+ | In der Gestaltpsychologie hingegen nimmt das Figur-Grund-Verhältnis einen wesentlich bescheideneren Platz ein. Erstens spielt es nur dort eine Rolle, wo es tatsächlich um „Übereinander-Liegendes“ und nicht um „Nebeneinander-Liegendes“ oder in anderer Weise aufeinander Bezogenes geht. Zweitens ist es auch im erstgenannten Fall nur eines von mehreren möglichen oder tatsächlichen Bezugssystemen. Wer nur in Figur/ | ||
+ | |||
+ | Daraus ergeben sich dann auch in der Psychotherapie entsprechende Aufgaben, an einer konstruktiven Veränderung solcher Bezugssysteme zu arbeiten. | ||
====Literatur==== | ====Literatur==== | ||
- | * Gottschaldt, Kurt (1933): //Der Aufbau des kindlichen Handelns//. Leipzig: Barth. | + | * Duncker, Karl (1928): Über induzierte Bewegung. |
- | * Metzger, Wolfgang | + | * Ehrenstein, Walter (1928): Untersuchungen über Bewegungs- und Gestaltwahrnehmung. III. Mitteilung. //Archiv für Psychologie, |
- | * Metzger, Wolfgang (2001): // | + | * Ehrenstein, Walter |
- | * Metz-Göckel, | + | * Fuchs, Thomas (2020): [[https://www.academia.edu/46664822/|Vom Miteinander, |
+ | * Fuhr, Reinhard (2000): Gestaltbegriff. | ||
+ | * Heider, Fritz (1927/2005): | ||
+ | * Koffka, Kurt (2008/ | ||
+ | * Linschoten, J. (1952): Experimentelle Untersuchung der sogenannten Induzierten Bewegung. // | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (1950): Zum gegenwärtigen Stand der Psychophysik. In: // | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (1966): Figural-Wahrnehmung. In: //Handbuch der Psychologie, | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (1975): //Gesetze des Sehens. Die Lehre vom Sehen der Formen und Dinge des Raumes und der Bewegung//. Dritte, völlig überarbeitete Auflage. Frankfurt/ | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (2001): // | ||
+ | * Metz-Göckel, | ||
+ | * Rubin, Edgar (1921): //Visuell wahrgenommen Figuren. Studien in psychologischer Analyse//. Kopenhagen/ | ||
+ | * Stemberger, Gerhard (2010): [[https:// | ||
+ | * Stemberger, Gerhard (2022): Die schwierige Klientin: Eine fragwürdige Figur. Ein gestalttheoretisch-psychotherapeutischer Kommentar. // | ||
+ | * Sternek, Katharina (2020): [[https:// | ||
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+ | <WRAP center round box 80%> | ||
+ | {{: | ||
+ | |||
+ | **Das klassische Grundlagenwerk zur Gestalttheorie** | ||
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+ | **Wolfgang Metzger: | ||
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+ | Psychologie. | ||
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+ | Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments** | ||
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+ | Wien: Verlag Wolfgang | ||
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+ | ISBN 978 3 901811 07 9 | 407 Seiten | Preis 45,00 Euro | ||
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