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figur_grund [09.01.2017 16:50] stemberger |
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====== Figur/Grund ====== | ====== Figur/Grund ====== | ||
- | //Eintrag in Bearbeitung// | + | [EN: figure/ground] |
- | Metz-Göckel 2008: "Die Figur-Grund-Differenzierung ist neben der Gruppierung und seinen Faktoren eines der wichtigsten Erkenntnisse der Gestalttheorie. In der Wahrnehmung gliedern sich Figuren, Dinge, Gegebenheiten aus und heben sich von einem Hintergrund ab. Viele der Forschungs- und Diskussionsbeiträge beziehen sich im Anschluss an die klassischen Studien von Rubin (1921) auf die Faktoren, die die Ausgliederung der Figur begünstigen. Diese sind Konvexität, | + | //Angelika Böhm, Wien// |
- | Außerdem wurden die besonderen Verhältnisse und Funktionen, in denen sich Figur und Grund unterscheiden, | + | ==== Pionier der Figur-Grund-Forschung: Edgar Rubin ==== |
+ | Das Begriffspaar | ||
- | Allerdings gibt es viele Belege dafür, dass dem Hintergrund gleichfalls eine Funktion zuzuweisen ist. Dabei zeigt sich, dass eine Figur ihren besonderen Charakter durch die Verankerungen in einem Grund hat, was bei der üblichen Lehrbuchbehandlung selten thematisiert wird. In wahrnehmungspsychologischen Abhandlungen werden aber gelegentlich Reizverhältnisse aufgeführt, bei denen offensichtlich ist, dass der Grund Einfluss auf die Wahrnehmung der Figur hat, z.B. sieht eine graue Figur auf dunklem Hintergrund heller aus als auf einem hellen, der sie dunkler | + | Rubin hat die [[phaenomenologie|Phänomenologie]] dieser Art von Figur/Grund-Erleben insbesondere im Bereich „allgemein mehrdeutiger Figuren, d.h. Figuren, von denen dieselben objektiven Teile bald als Figur, |
- | Bisweilen wird die Figur als Gestalt charakterisiert. Zum Wesen dieser | + | In der Gestaltpsychologie wurden |
- | **Figur/Grund-Umschlag** (Funktionswechsel von 'Figur' | + | ==== Eigenheiten von Figur und Grund ==== |
+ | Wird etwas in der visuellen Wahrnehmung als Figur wahrgenommen, | ||
- | // | + | Selbst |
- | Ein Kind steht (ähnlich wie bei den Anthropoidenversuchen Köhlers) vor der Aufgabe, sich Zugang zu einem Spielzeug zu verschaffen, | + | |
- | **Intentionale Strukturierung, | + | Die konkrete Herkunft und Bedeutung des wahrnehmungspsychologischen |
- | Von der phänomenalen Strukturierung des Feldes ist nach Gottschaldt (1933) | + | |
- | Erstes Moment (phänomenale Strukturierung): | + | ==== Figur/ |
- | Zweites Moment (intentionale Strukturierung): | + | In der Gestalttheorie nehmen |
- | //Beispiele | + | Schon im Bereich der visuellen Wahrnehmung können also vielfältige Bezugssysteme wirksam werden, nicht selten auch mehrere ineinander verflochten. Wolfgang Metzger führt einige |
- | "Wenn ich vor einem Bücherregal stehe und ein bestimmtes Buch suche, so bildet | + | |
- | Oder:\\ | + | |
- | "Wenn sich in einem Spielfeld ein Ball, eine Puppe, ein Baukasten und vielleicht eine Lötlampe befinden, so wird der Dreijährige alle diese Gegenstände als irgendwie geformte phänomenale Gestaltkomplexe erleben, aber intentional-bezogene Glieder des Feldes sind nur Puppe und Ball, während | + | |
- | Die Weite und Enge des psychischen Umfeldes erweist | + | * So wie der Grund zum Bezugssystem von figurhaft wahrgenommenen Sachverhalten wird, wird das anschaulich Umschließende bevorzugt zum Bezugssystem für das Umschlossene (Duncker 1928); |
+ | * das Beständige wird bevorzugt zum Bezugssystem für das Unbeständige, | ||
+ | * die Randgebiete | ||
+ | * der Boden, auf dem sich etwas befindet, oder der Träger, an dem sich dieses Etwas befindet, wird bevorzugt zum Bezugssystem für dieses Etwas (Oppenheimer 1935, Duncker 1928); | ||
+ | * das anschaulich Wirkliche (feste und solide) wird bevorzugt zum Bezugssystem für das anschaulich Scheinhafte, | ||
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+ | Welches Bezugssystem bzw. welches Geflecht | ||
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+ | ==== Figur/ | ||
+ | Es gibt auch Fälle, wo die Figur-Grund-Gliederung nicht nur //ein// mögliches Bezugssystem neben vielen anderen ist, sondern zugleich auch das " | ||
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+ | ==== Unterschiede Bezugssystem und Teil/ | ||
+ | Im Unterschied zur Beziehung zwischen | ||
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+ | ====Nicht alles, was auffällt, ist Figur auf Grund==== | ||
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+ | In den Gesetzen des Sehens (1975) wendet sich Metzger gegen eine unpräzise Verwendung der Figur-Grund-Begriffe. Er spricht vom „Figur-Grund-Verhältnis zweiten Grades“, wenn sich aus einer Menge artgleicher Glieder ein auffälliges heraushebt und den Blick auf sich zieht: „Die Menge der gleichartigen Glieder nimmt dabei ebenso eine Art von Grund-Charakter an. In manchen Arbeiten (z.B. von Ehrenstein) wird daher das auffallende Glied solcher Gruppen kurzerhand als ‚die‘ Figur bezeichnet. Doch ist dieser Sprachgebrauch unzweckmäßig. Es fehlt ein entscheidendes Merkmal des echten Figur-Grund-Verhältnisses: | ||
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+ | Auf derartige Fälle nimmt Metzger schon in seiner // | ||
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+ | Man kann also nicht einfach davon ausgehen, dass die Figur-Grund-Gliederung in jeder gegebenen Situation das Bezugssystem des gerade ablaufenden Geschehens ist. Es geht vielmehr immer um die Klärung, welches Bezugssystem gerade in der Wahrnehmung | ||
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+ | ====Vergleich mit der Gestalttherapie-Theorie==== | ||
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+ | Vereinfacht und zugespitzt kann man die Figur/ | ||
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+ | 1. In der Gestalttherapie-Literatur ist die Figur-Grund-Bildung das Prinzip, nach dem [[gestalt|Gestalten]] entstehen (z.B. „Gestalt wird in der Gestalttherapie als Dynamik des Hervortretens einer Figur vor einem Hintergrund dargestellt.“ Fuhr 2000, 242). In der [[gestalttheorie_gestaltpsychologie|Gestaltpsychologie]] dagegen wird die Entstehung, Veränderung und Aufrechterhaltung von Gestalten | ||
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+ | 2. In der Gestalttherapie-Theorie wird die Figur (für sie gleichbedeutend mit Gestalt) durch das gerade aktuelle | ||
+ | In der Gestaltpsychologie ist die Figur nicht gleichbedeutend mit Gestalt. Zwar haben manche Gestalten auch die [[gestalteigenschaften_arten|Gestaltqualität]] des Figurhaften, Gestalten sind aber nicht auf diese Fälle beschränkt. Nach Auffassung der Gestaltpsychologie werden Gestalten auch weder durch die Aufmerksamkeit noch durch die Bedürfnisse erzeugt. Vielmehr richten sich Aufmerksamkeit und Bedürfnisse auf bereits vorgefundene Gestalten, die durch Aufmerksamkeit und Bedürfnisse hervorgehoben und manchmal auch deutlich verändert, aber eben nicht erschaffen werden. | ||
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+ | 3. In der Gestalttherapie-Literatur wird das Figur-Grund-Prinzip in einer Interpretation, | ||
+ | In der Gestaltpsychologie hingegen nimmt das Figur-Grund-Verhältnis einen wesentlich bescheideneren Platz ein. Erstens spielt es nur dort eine Rolle, wo es tatsächlich um „Übereinander-Liegendes“ und nicht um „Nebeneinander-Liegendes“ oder in anderer Weise aufeinander Bezogenes geht. Zweitens ist es auch im erstgenannten Fall nur eines von mehreren möglichen oder tatsächlichen Bezugssystemen. Wer nur in Figur/ | ||
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+ | Daraus ergeben sich dann auch in der Psychotherapie entsprechende Aufgaben, an einer konstruktiven Veränderung solcher Bezugssysteme zu arbeiten. | ||
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+ | ====Literatur==== | ||
+ | * Duncker, Karl (1928): Über induzierte Bewegung. // | ||
+ | * Ehrenstein, Walter (1928): Untersuchungen über Bewegungs- und Gestaltwahrnehmung. III. Mitteilung. //Archiv für Psychologie, | ||
+ | * Ehrenstein, Walter (1942): //Beiträge zur ganzheitspsychologischen Wahrnehmungslehre// | ||
+ | * Fuchs, Thomas (2020): | ||
+ | * Fuhr, Reinhard (2000): Gestaltbegriff. In: Stumm, Gerhard & Alfred Pritz (Hrsg.) // | ||
+ | * Heider, Fritz (1927/ | ||
+ | * Koffka, Kurt (2008/1925): //Zu den Grundlagen der Gestaltpsychologie. Ein Auswahlband herausgegeben von Michael Stadler//. Wien: Verlag Wolfgang Krammer. (-> bei der ÖAGP zu bestellen: [[info@oeagp.at]]) | ||
+ | * Linschoten, J. (1952): Experimentelle Untersuchung der sogenannten Induzierten Bewegung. // | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (1950): Zum gegenwärtigen Stand der Psychophysik. In: // | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (1966): Figural-Wahrnehmung. In: //Handbuch der Psychologie, | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (1975): //Gesetze des Sehens. Die Lehre vom Sehen der Formen und Dinge des Raumes und der Bewegung//. Dritte, völlig überarbeitete Auflage. Frankfurt/ | ||
+ | * Metzger, Wolfgang (2001): // | ||
+ | * Metz-Göckel, | ||
+ | * Rubin, Edgar (1921): //Visuell wahrgenommen Figuren. Studien in psychologischer Analyse//. Kopenhagen/ | ||
+ | * Stemberger, Gerhard (2010): [[https:// | ||
+ | * Stemberger, Gerhard (2022): Die schwierige Klientin: Eine fragwürdige Figur. Ein gestalttheoretisch-psychotherapeutischer Kommentar. // | ||
+ | * Sternek, Katharina (2020): [[https:// | ||
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+ | <WRAP center round box 80%> | ||
+ | {{: | ||
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+ | **Das klassische Grundlagenwerk zur Gestalttheorie** | ||
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+ | **Wolfgang Metzger: | ||
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+ | Psychologie. | ||
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+ | Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments** | ||
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+ | Wien: Verlag Wolfgang Krammer | ||
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+ | ISBN 978 3 901811 07 9 | 407 Seiten | Preis 45,00 Euro | ||
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+ | [[mailto: | ||
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- | **Literatur: | ||
- | * Gottschaldt, | ||
- | * Metzger, Wolfgang (1975): [[http:// | ||
- | * Metzger, Wolfgang (2001): // | ||
- | * Metz-Göckel, | ||