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Feld, psychologisches

Dr. Hans-Jürgen Walter, Biedenkopf

„Eine Gesamtheit gleichzeitig bestehender Tatsachen, die als gegenseitig voneinander abhängig begriffen werden, nennt man ein Feld“. Diese Definition Einsteins (1934) für die moderne Physik liegt auch dem Gebrauch des Begriffs Kraftfeld in gestalt- und feldtheoretischer Psychologie und der Gestalttheoretischen Psychotherapie zugrunde (vgl. Lewin 1963, S. 74 ff.; Köhler 1947, Nachdruck 1975, Metzger 1975).

„Psychisches“ oder „psychologisches Feld“ bezeichnet stets ein Verständnis der Psyche als eines von Person und Umwelt gebildeten Bereichs gleichzeitig bestehender und wechselseitig abhängiger Sachverhalte (vgl. Lewins Formel: V = f (P, U)). In diesem pflanzt sich die Wirkung eines Eingriffs von außen oder die Veränderung in einem Teilbereich im allgemeinen durch das Ganze fort und erfolgt eine Änderung seines Gesamtzustandes in Richtung auf ein Gleichgewicht zwischen den Teilen und im Verhältnis des Ganzen zu den Außenbedingungen (Kraftfeldanalyse). Infolge solcher Gesamtumstellungen kann eine örtliche Störung auch an einer beliebig entfernten Stelle und auf überraschende Weise zutage treten; ein Beispiel ist das Freudsche Symptom (Metzger 1975, S. 321).

Es muss betont werden, dass innerhalb der Gestalttheorie von „psychologischem Feld“ immer nur in Bezug auf die „innere“ Welt (Lewin: Lebensraum) des einzelnen Individuums die Rede ist, nicht dagegen in Bezug auf Austausch und Wechselwirkung zwischen zweien oder mehreren Individuen im Sinne getrennter physikalischer Organismen. Die Forschung über die Wirkungen verschiedener Organismen aufeinander legt nahe, hier statt von feldförmigen von kreisförmigen Regelungsprozessen auszugehen (vgl. Tholey 1980, S. 183).

Dieser Hinweis ist aus drei Gründen wichtig:

1. hat Perls in seiner Begründung der Gestalt-Therapie mit der Postulierung eines „Organismus/Umwelt-Feldes“ die Grenze gestalt-psychologisch belegbarer Sachverhalte überschritten und so fragwürdigen Weiterentwicklungen den Weg bereitet;

2. ist mit dem Populärwerden der Gruppen- und Familientherapie diese Unterscheidung von höchster Bedeutung: „Gruppe“ oder „Familie“ können als (unmittelbar gegebene) feldförmige Systeme nur auf der Ebene individueller psychischer Felder betrachtet werden;

3. weil ein Missbrauch der Gestalttheorie als Argument für Auffassungen naheliegt, die postulieren, dass Selbstregulation und Selbstorganisation feldförmiger Art für das gesamte Weltall mit allen seinen Teilen (von den Gestirnen bis zu Menschen, Pflanzen usw.) gilt. So nahe die Gestalt- und Feldtheorie als ganzheitlicher Ansatz solchen Auffassungen auch steht, sie können doch aus ihrer Sicht nur als über belegte und derzeit belegbare ganzheitliche Prozesse weit hinausgehende Spekulationen betrachtet werden, die, auf therapeutische Praxis angewandt, eher eine Gefahr als eine Hilfe zu realitätsgerechtem Verhalten darstellen.

siehe auch:

Literatur:

  • Goldstein, Kurt (1934;2014): Der Aufbau des Organismus. Den Haag. Neuauflage 2014: Wilhelm Fink Verlag.
  • Köhler, Wolfgang (1947, 1975): Gestalt Psychology. New York.
  • Lewin, Kurt (1963/2012): Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Bern. Nachdruck 2012: Verlag Huber.
  • Metzger, Wolfgang (1986): Gestalttheorie und Gruppendynamik. Gruppendynamik 6 (1975), 311 - 331 u. in: Gestalt-Psychologie. Frankfurt.
  • Tholey, Paul (1980): Klarträume als Gegenstand empirischer Untersuchungen. Gestalt Theory 2, 175-191.
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