Kurzinformation der ÖAGP für Psychotherapie-Interessierte
Die Bezeichnung „Gestalttheoretische Psychotherapie" (GTP) besagt nicht, dass es in dieser Therapie "theoretisch" zugeht. Der Name weist darauf hin, auf welchem wissenschaftlichen Ansatz diese höchst praktische Therapiemethode beruht. Dieser Ansatz ist die „Gestalttheorie der Berliner Schule", die vor ungefähr hundert Jahren etwa zeitgleich mit der Psychoanalyse die Psychologie im deutschsprachigen Raum revolutionierte. [mehr dazu]
Wegen der Namensähnlichkeit ist es vielleicht notwendig, darauf hinzuweisen: GTP ist nicht eine Spielart der "Gestalt-Therapie", von der es heute auch in Österreich unterschiedliche Variationen gibt. Sie ist vielmehr eine eigenständige wissenschaftlich begründete Therapiemethode und als solche auch anerkannt. Die therapeutische Arbeit greift überprüfte Erkenntnisse aus der Gestaltpsychologie auf und stützt darauf ihre Praxis. Dabei werden auch Arbeitsweisen anderer Therapieformen integriert, die damit vereinbar sind. Das geschieht so, wie es für den individuellen Patienten und die jeweilige Situation gerade angemessen ist. Dafür erlernen Gestalttheoretische PsychotherapeutInnen in ihrer Ausbildung in erster Linie die Anwendung der ganzheitlichen Auffassungen der Gestaltpsychologie auf die psychotherapeutischen Aufgaben. Daneben lernen sie auch psychodramatische, gesprächstherapeutische, gestalt-therapeutische, verhaltenstherapeutische und andere psychotherapeutische Interventionstechniken und Arbeitsmethoden sowie deren theoretischen Hintergrund und die Voraussetzungen und Wirkungen ihres Einsatzes im Rahmen der GTP kennen. [mehr dazu]
In der GTP erwartet Sie kein im voraus festgelegtes, einheitliches Schema des Ablaufs und der Arbeitsweise. Die Psychotherapeutin (im weiteren verwenden wir hier die weibliche Form, gemeint sind alle Geschlechter und Identitäten) wird vielmehr mit Ihnen gemeinsam herauszufinden versuchen, was für Sie in Ihrer jeweiligen Situation gerade am hilfreichsten ist und welche Arbeitsweise Ihnen beiden am besten für die gemeinsame therapeutische Arbeit entspricht. [mehr dazu]
So wenig die GTP also auf einen bestimmten Ablauf und bestimmte Arbeitstechniken fixiert ist, so lassen sich doch grundlegende gemeinsame Eigenheiten und Kennzeichen dieser Therapieform nennen:
- Wie hilflos und Ihrem Leiden ausgeliefert auch immer Sie sich derzeit fühlen mögen: Ihre Therapeutin geht davon aus, daß die für die Bewältigung Ihrer derzeitigen Probleme erforderlichen Kräfte und Fähigkeiten in Ihnen selbst angelegt sind. Dazu gehört auch ihre Fähigkeit, sich auf die mit-menschliche Gemeinschaft mit anderen zu stützen. Diese Kräfte und Fähigkeiten wiederzuentdecken, freizulegen und zu entwickeln ist die Aufgabe der Therapie. Sie werden in der GTP also nicht einseitig "behandelt", sondern bei der Entfaltung der Möglichkeiten zur Selbstheilung unterstützt.
- Natürlich hat auch Ihre jetzige schwierige Situation ihre Vorgeschichte. In der GTP geht es jedoch nicht darum, eine historische Ursache Ihrer derzeitigen Situation herauszufinden. Vielmehr werden Sie in der Therapie mit Ihrer Therapeutin sorgfältig erkunden, was Ihre derzeitige Situation bestimmt - einschließlich der heute noch für Sie wirksamen Erinnerungen und Bindungen an Ihre Vergangenheit und Ihrer heute wirksamen Vorstellungen von Ihrer Zukunft ("Hier-und-Jetzt"-Prinzip).
- Die GTP geht davon aus, daß Ihre Fähigkeit zu einem erfüllten Leben, zur Bewältigung von Krisen und zur Selbstheilung wesentlich davon abhängt, daß Sie lebendigen Kontakt zu sich und Ihrer Umwelt halten können. Ihr Denken, Ihre Gefühle, Ihre Intuitionen, Ihre Körperempfindungen und Ihr Handeln sollten Ihnen wie alle Arten der Wahrnehmung möglichst gut als Ganzes gegenwärtig und verfügbar sein. Darauf, diese Fähigkeit zu schulen oder wiederzugewinnen, wird daher in der GTP besonders geachtet.
- Nicht zuletzt deshalb wird auch in der Therapiestunde dem unmittelbar Erlebten der Vorrang vor dem nur Gedachten, Erinnerten, Nacherzählten oder für die Zukunft Angenommenen gegeben. Auch wenn Sie in der Therapie Vergangenes oder Zukünftiges zur Sprache bringen, werden Sie in der GTP daher dazu angeleitet werden, es "in die Gegenwart zu holen" (also z.B. so zu erzählen und zu behandeln wie ein hier und jetzt stattfindendes Ereignis). Damit soll auch Erinnertes und Erwartetes für Sie möglichst unmittelbar erlebbar werden - mit all den Gefühlen, Empfindungen und Impulsen, die einem beim "Nur-darüber-Reden" oft gar nicht zugänglich sind, oder wenn notwendig auch aus einer sicheren Distanz. Gleiches gilt z.B., wenn Sie Erlebnisse und Konflikte mit anderen Personen zum Thema machen - auch dann wird es in der Regel darum gehen, diese in der Therapiestunde tatsächlich anwesend und gegenwärtig erlebbar zu machen, sei es aus der Nähe oder aus sicherer Entfernung. Dies erleichtert die Auseinandersetzung mit der Problematik und neue Einsichten und Lösungsansätze. Die GTP gehört in diesem Sinn zu den erlebnisaktivierenden Psychotherapie-Verfahren.
- In der GTP werden Ihre Vorstellungen, Wünsche, Phantasien und Träume nicht als "nicht real" abgetan. Für Ihr Erleben und Verhalten sind diese gleichermaßen real und wirksam wie die sogenannten "objektiven Fakten". Sie werden daher in der GTP auch genauso beachtet und respektiert wie alles andere, was Ihre Erlebniswelt ausmacht und bestimmt.
- Ein erster Schritt zu einer positiven Veränderung Ihrer Situation wird in der Regel darin bestehen, daß Sie mit Unterstützung Ihrer Therapeutin neue Einsichten über sich, ihre Situation und Ihre Möglichkeiten gewinnen. Aber Einsichten allein bewirken oft nicht allzu viel. Es braucht auch den Mut, neue Einsichten in tatsächliche Veränderungen im Leben angemessen umzusetzen und für das eigene Erleben und Verhalten und seine Auswirkungen Verantwortung zu übernehmen. Die GTP versteht sich in diesem Sinn nicht nur als einsichtsförderndes Therapieverfahren, sondern zugleich auch als unterstützendes Verfahren zur praktischen Erprobung und Umsetzung gewonnener Erkenntnisse und zur Förderung der Selbstverantwortung.
- Ihre Therapeutin versteht sich weder als unbeteiligte und unberührte Expertin, die weiß und Ihnen sagt, was in Ihrem Leben zu verändern ist, noch bloß als teilnahmsvolle Zuhörerin Ihrer Lebensgeschichte. Sie wird als der Mensch, der sie ist, mit all ihren persönlichen Eigenheiten und Fähigkeiten in der Therapie präsent sein und Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen einen geschützten und förderlichen Rahmen für die anstehenden Klärungen und Veränderungen bieten. Das solidarische Arbeitsbündnis, das sie Ihnen anbietet, wird nicht immer nur aus einfühlsamer Stützung, Bestätigung, Förderung und Ermutigung bestehen. Wo es für die Überwindung Ihrer Schwierigkeiten notwendig ist, wird es in respektvoller Weise auch Widerspruch, Konfrontation mit unangenehmen oder vermiedenen Themen und auch "Kampf" geben - und jede Unterstützung, die Sie brauchen, um damit zu Ihrem Nutzen umzugehen.
Die GTP wird in der Einzel-, Paar-, Familien- und Gruppentherapie mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angewendet.
Zur Liste Gestalttheoretischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, aus der Sie auch bestimmte Spezialisierungen entnehmen können.
Die Gestalttheorie der Berliner Schule erlebte einen massiven Rückschlag, als der Nationalsozialismus ihre Begründer und Hauptvertreter Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Koffka ins amerikanische Exil zwang. Dennoch haben ihre Forschungsergebnisse und ihr ganzheitlicher, systemischer Ansatz die weitere Entwicklung der Psychologie international auf vielen Gebieten geprägt und werden in den letzten Jahrzehnten auch in Europa wieder verstärkt wiederentdeckt. Auch in der Psychotherapie hat die Gestalttheorie in verschiedenen Ansätzen deutliche Spuren hinterlassen: So ist etwa die Analytische Gruppenpsychotherapie (Foulkes, Bion) stark vom Denken des Gestaltpsychologen Kurt Lewin geprägt, wie allgemein alle gruppendynamisch fundierten Ansätze in der Psychotherapie. In die tiefenpsychologischen Ansätze, zu denen auch die GTP selbst gehört, hat die Gestalttheorie eine Fülle wissenschaftlich-experimenteller Forschungsarbeiten eingebracht. Besonders enge Bezüge bestehen hier zwischen dem gestalttheoretischen Ansatz in der Psychotherapie und der Individualpsychologie von Alfred Adler, deren Grundgedanken im Rogerschen Ansatz ihre Fortsetzung finden. Auch die Geschichte der verschiedenen humanistischen Psychotherapieformen ist daher mit Einflüssen der Gestalttheorie eng verbunden. Unter anderem zeigt sich das auch in der Bezeichnung "Gestalt-Therapie" für den Ansatz von Fritz und Laura Perls, die auf die Gestaltpsychologie als eine ihrer Wurzeln verweist. [zurück]
Damit wird nicht eine beliebige Mischung unterschiedlichster Therapieformen vertreten. Psychotherapie ist mehr und etwas anderes als ein Arsenal von verschiedensten Techniken. In die GTP werden nur solche Teilansätze und Arbeitsweisen - und diese oft auch erst in abgewandelter Form - integriert, die dem gestalttheoretischen Verständnis des Menschen und der Arbeit mit dem Lebendigen entsprechen und stimmig in das therapeutische Gesamtkonzept der GTP für die Arbeit mit dem jeweiligen Menschen passen. [zurück]
Jeder Mensch hat seine Eigenheiten, seine besonderen Fähigkeiten und Einschränkungen, seine individuelle Art, für die Welt, für sich selbst und für andere offen zu sein und seine Erfahrungen zu machen und zu verarbeiten. Nicht jede psychotherapeutische Arbeitsweise paßt daher für jeden in jeder Situation gleich. Das gilt für Sie genauso wie für Ihre Psychotherapeutin.
Es geht daher darum, die für Sie beide und die jeweilige Situation am besten passende Form der psychotherapeutischen Zusammenarbeit zu finden. Da mag im einen Fall mehr das Gespräch im Vordergrund stehen, im anderen Fall mehr das Inszenieren bestimmter Situationen, wieder in einem anderen Fall das Sich-Ausdrücken und Erfahren über Zeichnen und Modellieren, über die Wahrnehmung des eigenen Körpers, der eigenen Stimme. Zugleich bietet das Erleben und die aufmerksame Beachtung des Kontakts und der Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Therapeutin viele Ansatzpunkte für Entdeckungen und für die Erprobung von förderlichen Veränderungen. In diesem Sinn ist GTP auch ein experimenteller Ansatz, in dem die Klientin ermutigt wird, neue Sichtweisen und Verhaltenswmöglichkeiten auszuprobieren. In gewisser Weise muß für jeden Menschen und mit ihm eine eigene, für seine Individualität passende Therapie "erfunden" werden. [zurück]